Leseprobe

7. Mögliche Auslöser des Wandels II: Klimaveränderungen 137 q eine Art Spirale geraten, in der die Etablierung einer auf Zuckerexport basierten Wirtschaft mit dem Ziel, mehr Zuckerrohrplantagen zu errichten, mit der Zerstörung der lokalen natürlichen Ressourcen verbunden war. Entscheidend war, dass das Zuckerrohr aufgrund seines hohen Wasserbedarfs nicht zu den mediterranen Bedingungen passte. Während sich die zypriotische Wirtschaft nach einer jahr- hundertelangen Entwicklung, die im späten Mittelalter begann, am Anfang der Frühen Neuzeit auf dem Höhepunkt befand, endete die von überwiegend feuchten Bedingungen gekennzeichnete mit- telalterliche Klimaanomalie und es setzte ein trockenes Klima ein. Die Zuckerrohrproduktion auf Zypern fußte auf einem Agrarökosystem, das die Ausbeutung der Umwelt und des Menschen för- derte. Die angebaute Pflanze war nicht an die Umweltbedingungen vor Ort angepasst und die Ren- tabilität des Anbaus wurde durch den Arbeitszwang, eine quasi sklavenähnliche Sozialstruktur auf- rechterhalten. Beide Säulen dieses Agrarökosystems konnten nicht an die neuen Klimabedingungen abgepasst werden.299 Der Archäologe Michael Given, der die Zypern-Krise erforschte, argumentiert, dass es in dem durch die Kreuzritter und italienische Händler konstruierten soziökologischen System an einem »empathischen Miteinander« (engl. conviviality , Geselligkeit) fehlte. Es verlangt von den Teilnehmen- den sozioökologischer Prozesse, sich gegenseitig zu respektieren und ständig zu verhandeln bezie- hungsweise sich an die Bedürfnisse und Fähigkeiten der anderen Seite anzupassen.300 Eine solche Herangehensweise an die Klimageschichte, die die Perspektiven verschiedener gesellschaftlicher Gruppen berücksichtigt und bereit ist, Kritik an den untersuchten Phänomenen aus ethischen Posi- tionen heraus zu üben, knüpft an die offen politisch engagierte Haltung der Begründer und Begrün- derinnen der Umweltgeschichte an. So hat der im ersten Teil des Buchs erwähnte Donald Worster explizit auf den amerikanischen Kapitalismus als die historische Ursache für die gegenwärtige öko- logische Krise verwiesen.301 Mit Blick auf die Debatten der letzten Jahre und die Einbindung vieler Schlüsselbegriffe aus der Forschung über den Klimawandel in den Diskurs neoliberaler oder wachs- tumsorientierter Ideologien, zu dem so bedeutende Begriffe wie »Resilienz« zählen, ist es vielleicht angebracht, die Intuitionen der ersten Generation von Umwelthistoriker*innen ernster zu nehmen.302 Wir müssen sie nicht unkritisch akzeptieren, aber es ist gut, sich nicht gegen die Tatsache zu ver- schließen, dass bestimmte ethische Haltungen der politischen und wirtschaftlichen Eliten und der damit verbundenen gesellschaftlichen Verhältnisse sozioökologische Konsequenzen hatten. Bei der Erforschung der Vergangenheit ist man verpflichtet, solche Zusammenhänge aufzudecken und sie kritisch zu beschreiben, so wie auch andere Aspekte vergangener Welten beschrieben werden. Die Komplexität der sozioökologischen Materie ist somit die erste Hürde, der sich Historiker*in- nen stellen müssen, die die Auswirkungen der Klimavariabilität auf die Menschheitsgeschichte unter- suchen. Die zweite besteht in der Art des Wissens, welches uns über das vergangene Klima zur Verfügung steht. Außer für die letzten zwei bis drei Jahrhunderte, und dass nur in Europa, haben wir 299 Given, The Precarious Conviviality [wie Anm. 166]. 300 Given, Michael: Conviviality and the Life of Soil. In: Cambridge Archaeological Journal 28 (2018), 127–143. 301 Worster, Dust Bowl [wie Anm. 22]. 302 Joseph, Jonathan: Resilience as Embedded Neoliberalism. A Governmentality Approach. In: Resilience 1 (2013), 38–52; Bankoff, Greg: Remaking the World in Our Own Image. Vulnerability, Resilience and Adaptation as Historical Discourses. In: Disasters 43 (2019), 221–239.

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1