Leseprobe

Einleitung 11 q gen Geschichte der byzantinischen (oströmischen) Welt dauerhafte Elemente der Kontinuität zu der römischen Vergangenheit enthielt, reiht es sich in diese revisionistische Richtung der byzantinischen Forschung ein. Wie ich im vierten Kapitel erläutere, eröffnet diese Frage den Blick auf eine Vielzahl von wichtigen Themen, denen sich Historiker und Umwelthistorikerinnen stellen, die sich mit ande- ren Epochen und Regionen beschäftigen. Doch bevor ich die Frage beantworten kann, was eigentlich die interdisziplinäre Umweltge- schichte ist oder sein könnte, welche Ursprünge sie hat und wie der von mir beschriebene Ansatz bei der Untersuchung einer bestimmten historischen Fragestellung angewandt werden kann, muss ich die wichtigsten terminologischen Fragen rund um die Begriffe Umwelt und Natur klären. Beginnen wir mit dem zweiten Begriff, der mehr Fragen und Probleme aufwirft, als es bei dem erstgenannten der Fall ist. Dies steht im Zusammenhang mit der langen Tradition des begrifflichen Gegensatzes Natur–Kultur ( nature vs. culture ), der innerhalb der Umweltgeschichte, vor allem in den USA, eine Quelle ständiger kreativer Spannungen ist. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen herrscht in der Umweltgeschichte nahezu ein Konsens darüber, diese Dichotomie abzulehnen und Einspruch gegen die Trennung zweier von Menschen erlebter Wirklichkeitssphären (gemeint ist das »Haus« der Kultur auf der einen und die »wilde« Natur auf der anderen Seite) zu erheben. Die zeit- genössische Umweltgeschichte betont, dass der menschliche Handlungsspielraum und die natürliche Welt miteinander verwoben und voneinander abhängig sind. Des Weiteren wird darauf hingewiesen, dass es in der Menschheitsgeschichte nie so etwas wie eine unberührte Natur ( pristine nature ) gege- ben hat.4 Die Verwendung des Begriffs Umwelt ( environment ) ist im Fall des geschichtswissenschaft- lichen Forschungsstrangs in gewisser Weise ein Ausweg, um nicht den problembehafteten Begriff der Natur benutzen zu müssen. Denn environment lenkt die Aufmerksamkeit nicht auf den Gegensatz zwischen der Welt der Natur und der Welt der menschlichen Kultur, sondern dient dazu, die Tatsache zu betonen, dass Menschen innerhalb der Umwelt, der natürlichen Umwelt leben und nicht außerhalb stehen oder sich im Gegensatz zu ihr befinden. Wegen ihres Interesses an Naturphänomenen nutzte die Umweltgeschichte schon sehr früh Fachtermini, die in der Biologie und vor allem in der Ökologie entwickelt wurden.5 Wichtige Schlüssel- begriffe der Umweltgeschichte sind das Ökosystem und die Landschaft (engl. landscape, manchmal nur land ). Als Ökosystem wird die funktionelle Gesamtheit lebender Organismen (der Biozönose) und der von ihnen bewohnten physischen Umgebung (dem Biotop) begriffen. Ein Ökosystem kann ein Wald, ein See oder eine andere klar abgegrenzte ökologische Einheit sein. In besonderen Fällen kann man von einem Agrarökosystem sprechen, das heißt von einem vereinfachten Ökosystem, bei dem auf der Seite der Produktion Nutzpflanzen dominieren und auf der Seite der Konsumption sich Menschen beziehungsweise ihre Nutztiere befinden. In der Regel kann ein solches System nicht ohne 4 Siehe William Cronons sinnstiftenden Text, wie die anderen Beiträge in diesem Buch, Cronon, William: The Trou­ ble withWilderness; or Getting Back to theWrong Nature. In: Uncommon ground: rethinking the human place in nature. Hg. v. WilliamCronon. NewYork 1996, 69–90 Ähnliche Stimmenwerden auch in der Archäologie laut, in der die Debatte über das Anthropozän zunehmend an Bedeutung gewinnt: Boivin, Nicole L., et al.: Ecological Consequences of Human Niche Construction. Examining Long-Term Anthropogenic Shaping of Global Species Distributions. In: Proceedings of the National Academy of Sciences 113 (2016), 6388–6396. 5 Worster, Donald: Transformations of the Earth. Toward an Agroecological Perspective inHistory. In: Journal of Ame­ rican History 76 (1990), 1087–1106.

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