Leseprobe

Zwischen Kalkül und Zufall 231 q Bewegung und Mobilität zeichnen im hohen Maße die künstlerischen Berufe der Frühen Neuzeit aus. Bereits durch das Prinzip der Wanderschaft waren zumindest zeitweilige Ortswechsel in die Praxis der handwerkli­ chen Ausbildung eingeschrieben, der auch Künstler ver­ schiedener Spezialisierungen unterworfenwaren. Nicht unüblich waren ebenso dauerhafte Auswanderungen über die regionalen bzw. Landesgrenzen hinaus, die die Betroffenen jedoch immer vor besondere Herausforde­ rungen stellten, die nicht jeder erfolgreich zu meistern vermochte. Will man die Entscheidungen für eine Aus­ wanderung nachvollziehen, ist immer die Frage nach den Gründen und näheren Umständen virulent, wenn­ gleich die Quellen in dieser Hinsicht nur selten Hin­ weise bieten. Die Suche nach einer Antwort gleicht so­ mit einem Indizienprozess, der nach dem Prinzip der Wahrscheinlichkeit mehr oder weniger belastbare Rück­ schlüsse erlaubt. Der vorliegende Beitrag versucht eine solche Be­ weisführung auf der Grundlage von nur wenigen bisher bekannten Quellen für den vielerorts tätigenMedailleur Sebastian Dadler bzw. Dattler (1586–1657). 1 Sein Lebens­ weg kann als Paradebeispiel künstlerischer Mobilität in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gelten: Straßburg, Wien, Augsburg, Dresden, Danzig und Hamburg waren seine Lebens- bzw. Wirkungsstationen. Sein Auftrag­ geberkreis, zu dem Herrscher, der Hochadel und auch die Städte zählten, war aber noch weitaus breiter über ganz Europa verstreut. Dadler belieferte Kunden teil­ weise über große Entfernungen hinweg, eine Präsenz vor Ort war dabei jedoch für die Ausübung seiner Tätig­ keit nicht zwingend notwendig. Welche Umstände be­ günstigten also seinen mehrfachen Wohnsitzwechsel, und zwar über Landesgrenzen hinweg, und verhalfen ihm, sich an neuen Orten erfolgreich zu etablieren? Wie hingen Dadlers ausgeprägte Mobilität und die all­ gemeine politische bzw. ökonomische Entwicklung zu­ sammen? Gerade der Netzwerkbildung scheint in die­ semZusammenhang eine Schlüsselrolle zuzukommen. Sebastian Dadlers Anfänge Sebastian Dadler wurde am 6. März 1586 in Straßburg als Sohn des Schiffszimmermanns Jacob Dettler und seiner Frau Apollonia geboren. 2 Über seine Ausbildung ist nichts Konkretes überliefert, doch vor seiner Über­ siedlung nach Wien (etwa 1611) hielt er sich vermutlich in Augsburg auf und konnte ebendort den Beruf des Goldschmieds erlernt haben. Augsburg bot dafür als eta­ bliertes und weithin bekanntes Goldschmiedezentrum die besten Voraussetzungen. Die Tatsache, dass Dadler dort Bürgerrecht besaß, liefert dafür ein gewichtiges Indiz. Wohl im Jahre 1611 3 heiratete er 25-jährig die Augs­ burgerin Rosina Esser, Tochter eines Harnischmachers. Dass die Ehe außerhalb der Stadtgrenzen Augsburgs, möglicherweise in Wien, geschlossen wurde, brachte den Frischvermählten schwerwiegende rechtliche Kon­ sequenzen ein. Der Augsburger Stadtrat ahndete diesen Regelverstoß mit dem Entzug des städtischen Bürger­ rechts für beide Eheleute. Diese Maßnahme stellte vor­ erst keine große Einschränkung dar, da Dadler von 1612 bis 1619 unter Kaiser Matthias (* 1557, 1612–1619) als der »Römischen Kayserlichen Mayestät Hoffgoldtschmidt« in Wien tätig war. 4 Arbeiten aus dieser Zeit sind leider nicht überliefert, sodass sich über die Art seiner Tätig­ keit in diesen Jahren nichts Genaueres sagen lässt. Mit demAbleben des Kaisers schwanden jedoch für den Künstler die Perspektiven einer Weiterbeschäfti­ gung in Wien, zumindest unternahm er ab 1619 große Anstrengungen, das Augsburger Bürgerrecht für sich und seine Gattin wiederzuerlangen, mit dem Ziel, sich in der Reichsstadt beruflich niederzulassen. Die Sank­ tion wurde nach langemHin und Her erst 1621 aufgeho­ ben, doch Dadler blieb weiterhin untersagt, in Augsburg als Goldschmied tätig zu sein. 5 Seine beständigen und schlussendlich von Erfolg gekrönten Bemühungen um die Erneuerung des Bürgerrechts waren vermutlich auch durch die Aussicht auf eine Erbschaft diktiert. Die Quellen erwähnen ein väterliches Erbe (bezogen wohl auf Dadlers Gattin) und Liegenschaften. Noch im glei­ chen Jahr war Dadler plötzlich in der Lage, nicht nur die ausstehenden 20 Gulden Steuern für die vergangenen sieben Jahre und die ebenfalls nicht unerhebliche Strafe für die unerlaubte Heirat außerhalb Augsburgs in Höhe von 10 Gulden zu begleichen. Er streckte darüber hinaus die Steuern für die folgenden vier Jahre vor, wobei deren Höhe sein bisheriges Steuerpensum um das Neunfache überstieg, was ein deutliches Indiz für sein gewachse­ nes Vermögen ist. Dennoch ohne eine berufliche Pers­ pektive in Augsburg, war der Goldschmied gezwungen, woanders sein Auskommen zu sichern. Am kurfürstlichen Hof in Dresden Als eine vielversprechende Adresse erwies sich in dieser Hinsicht der Dresdner Hof. Wie der erste Kontakt zu­ stande kam und ob Dadlers Verbindungen nach Wien dabei eine Rolle gespielt haben, lässt sich heute nicht

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