Leseprobe
Oberbayern im Ostseeraum 271 q Einleitung Mit einem am 10. Mai 1765 unterzeichneten Vertrag wurde der Stuckator Johann Michael Graff das erste Mal für die Kunstgeschichte als ausführender Meister greifbar. Dieser Vertrag wurde zwischen Graff und Peter von Biron (1724–1800), dem Sohn des damaligen Herzogs von Kurland, Ernst Johann von Biron (* 1690, reg. 1737–1772), in Berlin geschlossen. 2 Auch wenn der Vertrag bis heute nicht auffindbar ist, dokumentieren und verifizieren zwei Assignationen aus dem Jahr 1775 seine Existenz. 3 In Kurland im Schloss Ruhenthal (Rundāle) fertigte der Trupp Graff in 29 Räumen Stuckaturen an. Sie um- fassen sowohl repräsentative Räume, wie den Goldenen oder den Weißen Saal (Abb. 1, 2), als auch Innendekora- tionen in den Appartements des Herzogs (Abb. 3) und der Herzogin. Die Arbeiten imSchloss dauerten bis 1767. Der Trupp Graff bestand nach heutiger Kenntnis aus Johann Michael Graff, seinem Bruder Joseph und den Gesellen Virgilius Baumann und Andreas Lantz. Weitere Gesellen und Mitarbeiter sind möglich, aber nicht bekannt. Das Schloss blieb bis 1795 im Besitz der Birons. Nachdem es von verschiedenen russischen Adligen bewohnt worden war, erlitt es während der beidenWeltkriege und danach massive Beschädigungen an Bau und Innendekorationen. Erst durch eine gründliche, sehr am Original orientierte Restaurierung, die 1972 begonnen wurde, konnte das Schloss samt seinen Innenräumen schrittweise wieder- hergestellt werden. Damit ist Schloss Rundāle heute das einzige Bauwerk im Baltikum, in dem es möglich wird, die Formensprache Johann Michael Graffs zu erahnen. 4 Im Anschluss waren die Stuckatore von 1768 bis 1772 im Schloss Mitau (Jelgava) und der dazugehörigen Schlosskirche beschäftigt. Vergleichbar zu Ruhenthal arbeiteten sie sowohl in repräsentativen Räumen, etwa im Silbernen Saal, als auch in Räumen des Herzogs paares. Während dieses Aufenthaltes, im Jahr 1769, soll Graffs Bruder Joseph verstorben sein. 5 Das Schloss wurde nie fertiggestellt. Bereits 1788 verwüstete ein Brand die zehn stuckierten Innenräume. Umbauten und fortwäh- rende Brände besiegelten die Vernichtung der Arbeiten Graffs bereits im 19. Jahrhundert. Zu Beginn des 20. Jahr- Abb. 1 Schloss Ruhenthal (Rundāle), Goldener Saal (Foto: Torsten Veit)
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