Leseprobe
q 8 die Ankömmlinge attraktiv? Blieben die Künstler an ihrer neuen Wirkungsstätte, kehrten sie wieder in ihre Heimat zurück, oder wanderten sie vielleicht sogar wei- ter? Welche künstlerische Entwicklung nahmen sie in ihrer neuen Heimat und welche Rolle spielten sie dort? Wie integrierten sie sich vor Ort? In einer Fallstudie zur Bedeutung der Künstler immigration in Reval zeichnet Krista Kodres in ihrem Beitrag »Nach Reval: Von der Migration der Künstler« Gründe, Akteure, das soziopolitische Umfeld sowie die Nachfrage und den Erfolg nach. Sie erläutert dabei die Mechanismen dieses Prozesses anhand der künstleri- schen Biografien der Maler Lambert Glandorf und Kas- per Struss sowie des Bildhauers Arent Passer, um dann den Bogen zu Persönlichkeiten wie Christian Acker- mann oder Ernst Wilhelm Londicer zu spannen, die sich explizit als Künstler definierten und die örtlichen Zunftregelungen herausforderten. Mit den Auswirkungen von Künstlermigration auf die Architektur befassen sich Anna Ancāne, Julia Trin- kert und Stefanie Schuldt: In der Folge der wirtschaft- lichen Blüte nahm auch die Bautätigkeit in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Riga zu. Am Beispiel des aus Straßburg stammenden und sehr erfolgreichen Stadtbaumeisters Rupert Bindenschu zeichnet Anna Ancānes Beitrag »From Immigrant Carpenter to the City Architect of Riga. The Case of Rupert Bindenschu (1645– 1698)« Karriere und Netzwerke der für die barocke Ar- chitektur Rigas bedeutendsten Künstlerpersönlichkeit nach. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und politischen Situation in Ostpreußen um 1700 wurden Karrieren von Architekten aus der zweiten Reihe mög- lich, wie Julia Trinkert in ihrem Beitrag über »Johann Caspar Hindersin (1667–1738) – Hausarchitekt der Fami- lie Dohna in Ostpreußen« deutlich macht. Hindersin konnte für seine Dienstherren aus der Familie Dohna solide Entwürfe für Repräsentationsbauten liefern und deren Bau anleiten. Der Rückgriff auf bekannte Vorlagen sowie die Begutachtung durch Autoritäten seines Faches entsprach den Erwartungen der Auftraggeber und visu- alisierte ihre königsnahe Haltung sowie die Zugehörig- keit zum preußischen Adel. Auf diese Weise gelang es Hindersin, sich auch für eine Tätigkeit im preußischen Staatsdienst zu profilieren. Stefanie Schuldt zeichnet anhand der überlieferten Korrespondenz eines Architekturschülers von Nicolaus Tessin d. J. in ihrem Beitrag »Stockholm – Paris – Rom. Die Studienreise von Tessins Schüler Göran JosuæAdel- crantz nach Frankreich und Italien 1704 bis 1706« exem- plarisch eine Ausbildungsreise in europäische Kunst- zentren nach. Sie thematisiert darin die Rolle einer sol- chen Reise für die Karrieregestaltung eines Nachwuchs- architekten imSpannungsfeld zwischen Künstlermigra tion nach Schweden und Ausbildungsreisen einheimi- scher Künstler. Anhand der sorgfältigen Dokumentation der Reiseroute, der Aufgaben und Erwerbungen sowie der persönlichen Vernetzung Adelcrantz’ werden trans- kulturelle Austauschprozesse sowie vielfältige Formen von Transfer deutlich. Ihr Beitrag wird deshalb auch durch die Edition und Übersetzung der erhaltenen Briefe an den Dienstherrn ergänzt. An die Schnittstelle zwischen Architektur und Bild- künsten stellt Konrad Ottenheym seinen Überblick »Architektur von Bildhauern. Die internationale Reich- weite von Cornelis Floris und Hendrick de Keyser«. Die Etablierung antiker Formensprache für Architektur dekor in Antwerpen, Mechelen und Utrecht ließ die Nachfrage nach Künstlern aus diesen Städten seit den 1540er Jahren in Europa sprunghaft steigen. Der promi- nenteste Künstler unter ihnen, Cornelis Floris, bereitete den Boden für eine nahezu flächendeckende Verbrei- tung seines Stils durch seine Mitarbeiter und Assisten- ten, etwa die Bildhauerfamilie Midow, Willem van den Blocke, Gert van Egen, die inNordeuropa wiederumein- flussreiche, eigene Werkstätten gründeten. Ottenheym beschreibt ferner die Situation reisender Bildhauer-Archi tekten wie Philip Brandin, Hans Fleming oder Cornelis Coppens sowie die um die Jahrhundertwende einset- zende Interessenverlagerung der Auftraggeber auf Ams- terdamund die all’antica -Arbeiten Hendrick de Keysers. Die Untersuchungen von Franciszek Skibiński, Con stanze Köster, Rafał Makała, Elita Grosmane, Agnieszka Gąsior, YlvaHaidenthaller und TorstenVeit zur Künstler migration und ihren Auswirkungen auf die Bildkünste imOstseeraumeröffnen ein vielfältiges Panorama. Fran- ciszek Skibiński befasst sich in seinemBeitrag »Gdańsk and beyond. Artist mobility and artistic exchange in Royal and Ducal Prussia (1550–1650)«mit Vernetzungen von Künstlern in Preußen. Er zeichnet anhand einiger Fallbeispiele ein facettenreiches Bild von Migrations bewegungen in diese und innerhalb dieser spezifischen Region, darunter u. a. von Künstlern wie Hans Wind- rauch, Willemvan den Blocke, Hans Kramer oder Anton Möller. Gleichzeitig weist er nach, dass der Import von Kunstwerken zwischen den preußischen Städten eine bedeutende Rolle spielte, etwa von Danzig nach Thorn.
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