Leseprobe

69 Die Sammlung Mathematische Modelle DANI EL LORDICK Der doppeldeutige Modellbegriff in der Mathematik Wenn Wissenschaftler heute von einem mathematischen Modell sprechen, so denken sie dabei in der Regel nicht an die hier vorgestellten Sammlungsobjekte, sondern an eine forma- lisierte Beschreibung eines Teilproblems aus unserer erlebten Welt mit mathematischen Mitteln. Je genauer ein Vorgang »modelliert« ist, desto besser lässt er sich prognostizieren. Gepaart mit der Rechenleistung von Computern gelingen Wettervorhersagen, Finanzmarkt- analysen und die Charakterisierung komplizierter Prozesse aus Physik, Chemie und Biologie. Trotz dieser offensichtlichen Erfolge in fast allen Lebensbereichen und der Schlüsselrolle für die Hochtechnologie und trotz mancher Vermittlungsversuche ist das Verhältnis der Mathe- matiker zum Rest der Gesellschaft durchaus gespalten und ihre formalistische Wissenschaft gilt, nicht zuletzt wegen ihrer stark komprimierten Sprache, vielfach als unverständlich und lebensfern. Die Sammlung mathematische Modelle bietet im Gegensatz dazu einen ausgesprochen sinnlichen Schatz, der die innere Schönheit und Eleganz von Formeln und abstrakten Struktu- ren sogar für Laien greifbar macht. Auch diese materiellen Modelle stammen tatsächlich aus der Hand von Mathematikern und dienen neben Formeln, Texten und Grafiken als Kommuni- kationsmittel mathematischer Inhalte. Die unmittelbare Überzeugungskraft der materiellen Modelle in der Wissensvermittlung war in der jüngeren Vergangenheit Ausgangspunkt für zahlreiche Projekte, mit denen die Dresdner Sammlung über die Grenzen der Mathematik hinaus zu einer neuen Blüte geführt wurde. So waren die Modelle in verschiedenen Ausstel- lungen zu sehen, sindmittlerweile als Leihgaben in sächsischenMuseen vertreten, dienen als Sujet künstlerischer Arbeiten und bilden nicht zuletzt den Forschungsgegenstand in einem Pilotprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Zugleich überdeckt der ästhetische Reiz der Objekte aber die bemerkenswerten Konflikte, die im innermathematischen Spannungs- feld von Realitätsbezug und Abstraktion zur sehr wechselvollen Geschichte der Sammlung beigetragen haben. Während Galileo Galilei noch verkündete, das Universum sei in der Sprache der Mathe- matik geschrieben, sah Albert Einstein das Wechselspiel von Wissenschaft und Wirklichkeit schon sehr viel differenzierter. Auch der Titel der ältesten, noch heute erscheinenden Fach- zeitschrift »Journal für die reine und angewandte Mathematik« (gegründet 1826) benennt jene Polarität, nach der die reine Mathematik als Geisteswissenschaft gilt, während alles, was aus diesem Elfenbeinturm zu Anwendung und Anschaulichkeit drängt, implizit abgewertet und als »unrein« klassifiziert wird. Da mag es wie ein Widerspruch erscheinen, dass die Mo- delle des 19. Jahrhunderts zum Großteil der reinen Mathematik entspringen. Eine offensichtliche Beschränkung materieller Modelle besteht in ihrer zwangsläufigen Verhaftung im dreidimensionalen Anschauungsraum. Kein Wunder also, dass materielle Insofern sich die Sätze der Mathe­ matik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit. Albert Einstein in seinemVortrag über »Geometrie und Erfahrung« (1921) √ Objekte aus der Sammlung Mathematische Modelle .

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