Leseprobe

Die Sammlung Mathematische Modelle € € € 71 Die ersten mathematischen Modelle, die Anfang 1849 nach Dresden gelangten, gehörten zur Darstellenden Geometrie und stammten vom französischen Mathematiker Théodore Olivier, einem Schüler von Monge. Die Modelle stellen mithilfe von gespannten Fäden Regel- flächen dar, also durch die Bewegung von Geraden erzeugte krumme Flächen. Diese für das Bauwesen äußerst interessanten Flächen hat Olivier ab 1839 zunächst für das Conservatoire des arts et métiers in Paris anfertigen lassen. Auch Monge hatte zuvor Regelflächen durch Scharen gespannter Fäden dargestellt. Allerdings ist die Besonderheit bei Oliviers Konstrukti- onen, dass die Modelle beweglich sind und somit das Spektrum der möglichen Fälle – etwa bei Durchdringungsphänomenen – besser abbilden. Charakteristisch für Oliviers Kreationen sind Messingrahmen mit mechanisch aufwändigen Gelenken sowie bei manchen Modellen Bleigewichte zum automatischen Nachspannen der Fäden (Union College). Im heutigen Sammlungsbestand existiert nur noch ein Modell, das aufgrund seiner Bauart und Materiali- tät auf die damalige Lieferung von dreizehn Modellen zurückgeführt werden kann: ein hyper- bolisches Paraboloid. Die Blütezeit mathematischer Modelle Die Blütezeit mathematischer Modelle in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist eng mit der Forschung auf dem Gebiet der algebraischen Flächen verknüpft (Fischer 1986). Als einer der ersten ist hier Ernst Eduard Kummer zu nennen, der zwischen 1862 und 1872 am mathe- matischen Seminar der Universität zu Berlin neun Modelle von Flächen 4. Ordnung konstru- ierte, darunter die Römische Fläche von Steiner. An den Modellen wird auch zwanzig Jahre später noch gelobt, dass sie »zu den schönsten und elegantesten gehören, die bisher entstan- den sind« (Schilling 1911, S. 20). Die wichtigsten Protagonisten beim Aufschwung der mathematischen Modelle waren jedoch Felix Klein und Alexander von Brill, beide Schüler von Kummer, die 1875 an die Techni- sche Hochschule München berufen wurden. Ihre ganz auf Anschaulichkeit ausgelegte Lehre veranlasste sie zur Einrichtung eines Modellierkabinetts. Mit Unterstützung eines Drehers und eines Gipsformers konstruierten die Studenten der Mathematik – unter Einsatz um- fangreicher Rechen- und Zeichenarbeit – in den folgenden Jahren um die 100 mathemati- sche Modelle. Dabei ging es aber nicht nur um den »Luxus« (Brill 1889) von Lehrmodellen in der Ingenieurausbildung, sondern die Modelle sollten geometrische Spezialstudien fördern. Die mathematischen Modelle, sofern sie Dreh- oder Schraubflächen darstellten, wurden zunächst aus Holz gefertigt. Für die anderen Modelle wurden ebene Schnitte in Zinkblech ausgeschnitten und zu einem Gerüst zusammengelötet. Die endgültige Form entstand in mehreren Prozessschritten durch Verfüllen des Zinkgerüsts mit einer speziellen plastischen Masse und nachträgliches Glätten. Schließlich wurden von den Urmodellen Gipsabgüsse her- gestellt und auf ihnen gestaltrelevante Linien aufgebracht. Lediglich solche Gipsabgüsse Die Untersuchung der gestaltlichen Verhältnisse auch von Gebilden, die dem Geometer sonst wohl bekannt sind, fordert zu neuen und oft folge­ reichen Fragestellungen auf. Alexander von Brill 1889 Die römische Fläche von Steiner mit Haupttangentenkurven Gipsmodell einer Fläche vierter Ordnung nach Kummer, Verlag Martin Schilling Serie IX 3, 1883

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