Leseprobe

117 Die Sammlung Farbenlehre ECKHARD BENDIN Farbe multidisziplinär Kaum ein anderer Gegenstand unserer Wissens- und Lebenswelt weist derartige Aktualität und Komplexität auf wie die Farbe, in allen Wissensdisziplinen sich widerspiegelnd und bre- chend. DiesemVermögen ist geschuldet, dass sie schon lange nicht mehr in nur einer Geistes- disziplin – wie noch vor Jahrhunderten in der Philosophie – erfasst und behandelt werden konnte. So, wie Licht und Farbe mit allen Bereichen des Lebens, der Natur, Technik, Wissen- schaft, Kunst, Kultur und Bildung verbunden sind, führte auch der Weg der Farbenlehre – wie neuere Aufarbeitungen anschaulich zeigen – zunächst über differenzierteste Untersuchun- gen in vielen Einzeldisziplinen zu einem zunehmend multidisziplinären, kaum noch über- schaubaren Wissensfeld (Welsch/Liebmann 2003; Kuehni/Schwarz 2007). Umso notwendiger erscheint uns heute eine interdisziplinär verbindende Farbenlehre als moderne Wissenschaft über die Zusammenhänge von Licht und Farbe, zumal auch in der Vergangenheit alle einzeldisziplinären Bestrebungen schnell an Grenzen gestoßen sind und deren Überschreitung herausgefordert haben. Eindrückliches Beispiel hierfür war die stärkere Hinwendung der Philosophie zu den Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert, insbesondere zur Physiologie, die beispielsweise in Leipzig zur Begründung der Psychophysik, der Experi- mentellen Ästhetik und Experimentellen Psychologie führte. Auch die Wirkungsgeschichte der Goetheschen Farbenlehre legt Zeugnis davon ab, wie notwendig die Zusammenschau wesentlicher Sachverhalte erscheint. Immer wieder haben bedeutende Naturwissenschaft- ler sich intensiv der Farbe zugewandt und dazu positioniert, unter ihnen nicht wenige Nobel- preisträger wie Wilhelm Ostwald, Max Born, Erwin Schrödinger oder Werner Heisenberg, der in einemVortrag über die Goethesche und Newtonsche Farbenlehre im Lichte der modernen Physik den Wissenschaftler herausfordert, indem er ihn auf die Notwendigkeit verweist, im lebensweltlichen und kommunikativen Interesse Grenzen zu überschreiten, Zusammen- hänge neu herzustellen und zu begründen. Unter den meist fachspezifisch orientierten Universitätssammlungen stellt eine grenz- überschreitende, interdisziplinär orientierte Sammlung heute eher eine Seltenheit dar. So kann man die Lehr- und Forschungssammlung Farbenlehre durchaus als etwas Besonderes ansehen, weil sie im Gegensatz zu anderen eine multidisziplinäre Verbindung von Lehr- und Forschungsinhalten geradezu anstrebt. In diesem Falle liegt es durchaus aber in der Natur der Sache, denn das uralte Erfahrungs- undWissensgebiet Farbe lässt sich heute eben nicht mehr in nur einer Disziplin erfassen und behandeln. Obwohl Farbe als elementare, sinnlich-sittlich erfahrbare, biologisch und kulturell wirkende Erscheinung generativ an die Natur und Wech- selwirkung von Licht und Materie gebunden ist – und von daher zunächst an die naturwissen- schaftlichen Disziplinen Physik, Chemie und Biologie – , war die Farbenlehre – als umfassend gedachte Wissenschaft über Farbe und deren Vermittlung – stets auch grundlegendes An- Nur dort, wo die Wissenschaft an den äußersten Grenzen ihrer bisheri­ gen Forschungsweise Beziehungen zum Leben selbst entdeckt, wird ihr Sinn verständlich. Heisenberg 1941 √ Z eugners »Erneuerte Baumann-Prase-Karte«, Leipzig 1989/90 Sechs der zwölf Schnittebe- nen seines mithilfe der Krei- selmischung ausgemischten Entwurfes einer »Erneuerten Baumann-Prase-Farbton- karte« mit insgesamt 864 Mustern (NL Zeugner)

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