Leseprobe
Die Sammlung Farbenlehre € € € 118 liegen geistes-, sozial- und ingenieurwissenschaftlicher wie künstlerischer Disziplinen. In ihnenwurde Farbe zumeist integrativ behandelt und fachspezifisch fokussiert, doch erreichte das elementar-ästhetische Potential von Farbe besonders in der Komplexität von Architektur, Kunst und Design höchste Beachtung, indem sie dort als visuelles Ereignis und gestalteri- sches Medium vielfach genutzt und reflektiert wurde. In der medialen Lebenswelt von heute haben Nutzung und Bedeutung der Medien Licht und Farbe an Breite und Vielfalt außeror- dentlich hinzugewonnen. Denken wir nur an die Vielzahl neuer Disziplinen und Berufsbilder imBereich des Medien- und Kommunikationsdesigns, die ohne grundlegende Einsichten, wie sie eine multidisziplinär ausgerichtete Farbenlehre vermitteln kann, nicht mehr auskommen. Auf die Schwierigkeiten der Zusammenschau verwies bereits Goethe in der Einleitung zum historischen Teil seiner Farbenlehre. So beklagt er, dass es schwierig sei, die Farbenlehre, die sich überall nur durchschmiege, vom übrigenWissen zu isolieren und sie dennoch zusam- men zu halten. Mit der Herausforderung, dass Wissenschaft notwendig als Kunst zu denken sei, wenn wir von ihr irgendeine Art von Ganzheit erwarten, wies er aber auch den Weg: »Um…einer solchen Forderung sich zu nähern, …müßte man keine der menschlichen Kräfte bei wissenschaftlicher Tätigkeit ausschließen. Die Abgründe der Ahnung, ein sicheres Anschauen der Gegenwart, mathematische Tiefe, physische Genauigkeit, Höhe der Vernunft, Schärfe des Verstandes, bewegliche sehnsuchtsvolle Phantasie, liebevolle Freude am Sinnlichen, nichts kann entbehrt werden.« (Goethe 1810, Bd. 2, S. 119 ff). Und reichlich 100 Jahre später beschwor auch Ostwald – rückblickend auf jahrzehntelange Farbforschung und seine daraus erwachsene Einsicht, gleichzeitig unvermeidlichmit technischen, ästhetischen und künstlerischen Fragen konfrontiert zu sein, die Möglichkeit und Chance einer zunehmenden Integration von Wis- senschaft und Kunst. Vom Farbenforum zur Sammlung So ist auch nicht verwunderlich, dass die Sammlungsidee sowohl aus einer lebensweltlich komplex ausgerichteten Fachdisziplin wie der Architektur als auch aus einer interdisziplinären Denktradition erwachsen ist. Das »Dresdner Farbenforum«, eine interdisziplinäre Tagungs- und Publikationsreihe am Institut für Grundlagen der Gestaltung und Darstellung der TU Dresden, nahm sich seit seiner Gründung 1992 in einer Reihe von Tagungen und Ausstellun- gen der verschiedensten übergreifenden Themen an und verband unterschiedlichste Fach- leute und Interessierte durch Wissensaustausch und persönliche Begegnung. Das Forum führte Farbwissenschaftler und -gestalter aus Ost und West sowie aus mehreren europäi- schen Staaten nach 30jähriger Pause erstmals wieder auf einer Tagung im Osten Deutsch- lands zusammen. Der ersten Begegnung folgten im Zweijahresrhythmus weitere Tagungen, darunter auch in Zusammenarbeit mit der Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft das Symposium »Zu Bedeutung und Wirkung der Farbenlehre Wilhelm Ostwalds« 2003 in Großbothen bei Leipzig anlässlich des 150. Geburtstages des sächsischen Nobelpreisträgers und Farbenfor- schers. In der Publikationsreihe »Dresdner Farbenforum« erschienen zwischen 1992 und 2003 sechs Tagungsbände mit 94 Fachbeiträgen von 75 Fachautoren, darunter auch die Dokumen- tation zum Ostwald-Symposium 2003 (Bendin 1996–2001; Bendin 2003). Seit 2001 widmete sich das Dresdner Farbenforum zunehmend einem Anliegen, das in der Vergangenheit nur unzureichend dokumentiert und aufgearbeitet worden war, der be- sonderen Spezifik und Entwicklungsgeschichte der Farbenlehre im mitteldeutschen Raum. Sie wurde wesentlich von Natur- und Geisteswissenschaftlern, Handwerkern, Unternehmern, Architekten, Künstlern und Pädagogen geprägt. Darunter die zumeist bekannten Protagonis- ten Goethe, Runge, Schopenhauer, Hering, Ostwald und Itten. Aber auch viele, in Bezug auf die Farbenlehre weniger bekannte Persönlichkeiten trugen Wesentliches dazu bei, dass der mitteldeutsche Raum sichmit fortschreitender Industrialisierung bis in dieMitte des 20. Jahr- hunderts zu einem besonderen Schmelztiegel der modernen Farbenlehre entwickelte. Zu ihnen zählen u. a.: Denn wie schwierig es sei, die Farbenlehre, die sich überall gleich sam nur durchschmiegt, von dem übrigen Wissen einigermaßen zu isolieren und sie dennoch wieder zusammen zu halten, wird jedem Einsichtigen fühlbar sein. Goethe 1810, Bd. 2, Einführung, S. XI Es war unvermeidlich, dass mich im Zusammenhang mit den Farben gleichzeitig technische und künst lerische Fragen beschäftigten…und die zunehmende Erkenntnis, dass der Wissenschaft nichts unzugäng lich ist, zwang mich, die Wissen schaft der Kunst ins Auge zu fassen. Ostwald 1927, S. 407
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