Leseprobe
7 Mit ihren 40 technisch-naturwissenschaftlichen Sammlungen und ihrem Kunstbesitz ver- fügt die Technische Universität Dresden über einen großen und bedeutenden Bestand an historischen und zeitgenössischen Exponaten aus Lehre, Forschung und Kunst. Objekte universitärer Sammlungen unterscheiden sich durch den spezifischen Charakter ihrer Herkunft von jenen inMuseen, denn sie repräsentieren keine vergangene, abgeschlossene Epoche, sondern sie befinden sich gewissermaßen »im Fluss«. Über die Jahrzehnte können sie sprunghaft oder auch über längere Zeit merkliche Bedeutungswandel erfahren, durch die sich ihr Status innerhalb der Universität verändert. Gehen wir von Sammlungen wissen- schaftlicher Geräte oder Modelle aus, wie sie vor allem an Technischen Hochschulen entstan- den sind, so wurden und werden diese meist für die Lehre oder für spezifische Forschungs- aufgaben erworben oder angefertigt. Die Objekte werden über Jahrzehnte hinweg benutzt, gebraucht und verbraucht, in Teilen ausgetauscht oder erneuert. Sie verändern sich in und mit den Zeitläufen. Daher unterliegen sie einerseits – wie die wissenschaftlichen Zusammenhänge, in denen sie entstanden sind – einem stetigen und zugleich diskontinuierlichen Historisierungspro- zess: Nach und nach wandern sie aus ihren ursprünglichen Forschungs- und Lehrzusammen- hängen heraus und werden zu Kulturgut einer vergangenen Forschungs- oder Lehrpraxis – und damit zu einem wichtigen Teil der akademischen Tradition der einzelnen Fächer wie der Geschichte der jeweiligen Hochschule insgesamt. Ihre mögliche Bedeutung für die künftige wissenschaftshistorische Forschung sowie für die unerlässliche Selbstreflexion der Diszipli- nen beziehungsweise der Institutionen sind jedoch kaum abzuschätzen. Gleichzeitig können wissenschaftliche Objektsammlungen aus der Vergangenheit überra- schende Antworten auf drängende aktuelle Forschungsfragen liefern, beispielsweise zu Klima wandel, Evolutionstheorie oder Biodiversität. Neben der wissenschaftshistorischen Perspek- tive halten insbesondere naturkundliche Sammlungen spezifische Erkenntnismöglichkeiten in Latenz vorrätig- sie offenbaren sich also erst mit zeitlicher Verzögerung. Durch neue Analyse- methoden können etwa historische Herbarien, Bohrkerne oder Meeresbodensedimente be- fragt und so ihre über viele Jahrzehnte oder Jahrtausende gespeicherten Informationen lesbar gemacht werden. Für jede universitäre Sammlung eröffnen sich dadurch perspektivisch neue – und häufig ungeahnte – Möglichkeiten, zu aktuellen Forschungsfragen beizutragen. Neben den historischen Beständen, deren Potenziale neu entdeckt werden, entstehen an Universitäten auch weiterhin neue Sammlungen aus aktuellen Forschungs- und Lehrkontex- ten. Ihre Dinglichkeit verlagert sich inzwischen zunehmend in den digitalen Raum, womit sich ganz neue Fragen hinsichtlich Nutzung, Erschließung und Bewahrung ergeben. Gemeinsam ist somit allenwissenschaftlichen Sammlungen, dass sie wertvolle Sachzeugen der Entwicklung einer Fachdisziplin und damit einen wesentlichen Teil der wissenschaftlichen Die Sammlungen der TU Dresden – Tradition und neue Perspektiven KIRSTEN VINCENZ √ Historischer Sammlungsschrank aus der Chemie in der Dauer ausstellung der Kustodie, 2019 »Das Sammeln geht der Wissen schaft immer voraus; das ist nicht merkwürdig; denn das Sammeln muß ja vor der Wissenschaft sein; aber das ist merkwürdig, daß der Drang des Sammelns in die Geister kömmt, wenn eine Wissenschaft er scheinen soll, wenn sie auch noch nicht wissen, was diese Wissenschaft enthalten wird.« Adalbert Stifter 1857
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