Leseprobe
120 Con molta gloria Pater Flaminio Ricci (1545–1610), der Ordensobere der römischen Oratorianer, schrieb in einem Brief vom 23. Februar 1608 über Peter Paul Rubens: »E fiammingho ma da putto allevato in Roma.« 1 Er sei Flame, aber von Kindesbeinen an in Rom aufgezogen worden. Diese Aussage ist falsch und in einem höheren Sinne dennoch wahr. Tatsächlich wuchs Rubens keineswegs in Rom, sondern in Köln und Antwerpen auf – immerhin beides Städte mit römischen Wurzeln. Erst im Sommer 1600, mit 23 Jahren, kam er nach Italien, ein Jahr später zu einem erstenAufenthalt nach Rom. Damit erfüllte sich ein seit langer Zeit gehegter Wunsch, denn Rom spielte – und insofern hat Ricci doch recht – für Rubens’ Denken und Imagination schon sehr früh eine große Rolle. Sein Vater war dort zum Doktor der Rechte promoviert worden. Das antike wie das moderne Rom dürfte in den Gesprächen, die in der Familie und ihrem humanistisch geprägten Freundeskreis geführt wurden, und natürlich auch in der Lateinschule, die Peter Paul in Antwerpen besuchte, ein häufiges Thema gewesen sein. Der ältere Bruder Philipp entwickelte sich zu einem bedeuten- den Philologen und Kenner des Altertums. Und als Peter Paul die Künstlerlaufbahn einschlug, suchte er sich in Otto van Veen einen Lehrer, der rund fünf Jahre in Italien verbracht hatte und dessen künstlerische Haltung durch antiquarische und humanistisch-literarische Interessen geprägt war. Seit Beginn des 16. Jahrhunderts waren etliche niederländische Maler nach Italien gereist, um dort die Kunst der Antike und der Gegenwart zu studieren, so etwa Jan Gossaert (1478–1532), Quentin Massys (1466–1530), Pieter Coecke van Aelst (1502–1550) und Marten van Heemskerck (1498–1574). 2 Otto van Veens Lehrer Domenicus Lampsonius hatte 1565 eine Biografie des Malers Lambert Lombard (1505–1566) verfasst, worin dessen Studien in Italien – nach Antiken ebenso wie nach Gemälden der Renaissance – geschildert und als vorbildhaft gepriesen werden. Diese Schrift hat der junge Rubens, wie es scheint, nicht nur gelesen, sondern wirklich verinnerlicht. Zu nennen ist auch der Antwerpener Maler und Italienreisende Frans Floris (1517–1570), dessen an römischer Kunst geschulte Bilder Rubens vor Augen standen. Gedanklich ist Rubens also von früh auf in der Ewigen Stadt gewesen. Er war bestens vorbereitet auf das, was es dort zu sehen gab. Zwar führte ihn sein Weg im Jahr 1600 zunächst nach Venedig, dann an den Hof in Mantua und anschließend, im Gefolge von Herzog Vincenzo I. Gonzaga, nach Florenz, doch im Jahr darauf durfte er – ausgestattet mit einem Empfehlungs- schreiben des Herzogs – endlich nach Rom, ins Zentrum des römischen Weltreichs, des frühen Christentums, des Papsttums und der »Gegenreformation«. Obwohl Rubens die Vielfalt der ita- lienischen Kunststädte in sich aufnahm, war es doch die Metropole Rom, auf die sich sein Sinn in besonderer Weise richtete. Hier sammelte er sehend und kopierend einen Bilderschatz, der für sein gesamtes weiteres Schaffen prägend blieb. Überaus fleißig zeichnete er nach Skulpturen der Antike ebenso wie nach Fresken und Tafelgemälden der Renaissance. Daneben führte er einen bedeutenden Auftrag aus: drei Altargemälde für die Helenakapelle der Kirche Santa Croce in Gerusalemme. Auch eine Reihe kleinerer Gemälde wird in diese Zeit des ersten, knapp einjähri- gen römischen Aufenthalts datiert. ImApril 1602 kehrte Rubens an den Mantuaner Hof zurück, für den er während der nächsten fünf Jahre in unterschiedlicher Weise tätig war. So überbrachte er 1603 dem spanischen König Philipp III. und anderen einflussreichen Persönlichkeiten im Auftrag von Herzog Vincenzo Ge schenke. Diese spanische Mission kann als Auftakt für Rubens’ spätere diplomatische Karriere verstanden werden. Auch in anderer Hinsicht trieb der zielstrebige Rubens sein Fortkommen voran. Dazu gehörte ein weiterer Aufenthalt in Rom. Die zweite römische Zeit, um die es in diesem Auf- satz geht, sollte nun weniger dem Studium als dem Erfolg in dieser vibrierenden Kunststadt gewid- met sein. Wer sich hier durchsetzte, so Rubens’Kalkül, der konnte europaweiten Ruhm erlangen. 3 Tatsächlich sollten sich seine Hoffnungen in starkem Maße erfüllen, obwohl er nur knapp drei Jahre in Rom blieb. Das Projekt »Becoming Famous« machte einen großen Schritt nach vorn. Mit bedeutenden Auftragswerken erregte er Aufmerksamkeit. Und obgleich er schon vorher Proben seines außerordentlichen Talents gegeben hatte, steigerte er seine künstlerischeAusdrucksfähigkeit √ Kat. 39 PETER PAUL RUBENS Anbetung der Hirten 1609/10 Öl auf Leinwand, 81,2x62,2 cm Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (Detail)
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