Leseprobe
123 Holger Jacob-Friesen 1607), den bedeutendsten Oratorianer seiner Zeit, konzipierte, vielleicht auch in Absprache mit ihm. Baronio war Schüler und Vertrauter Filippo Neris gewesen, des Gründers der 1575 vom Papst bestätigten »Kongregation vom Oratorium«. Diese entwickelte sich zu einem sehr einfluss reichen Orden der »Gegenreformation« und hatte ihr Zentrum in der Chiesa Nuova. Nach dem Tod Neris 1595 führte Baronio, ab 1596 Kardinal, den Orden. Er empfahl der katholischen Kirche eine Rückbesinnung auf die frühchristlichen Anfänge. Die Niederlegung von Reliquien der Hei- ligen Maurus und Papianus im Hochaltar der Chiesa Nuova 1590, noch zu Lebzeiten Neris, war ein Signal in diesem Sinne. 1597 ließ Baronio, maßgeblicher Autor der Annales Ecclesiastici und des Martyriologium Romanum , Reliquien von Domitilla und ihren Gefährten Nereus und Achil- leus in die ihm als Kardinal zugewiesene Titelkirche überführen. 14 Diese translatio soll einem Triumphzug geglichen haben. So mag die von Säulen flankierte Arkade des Berliner Bildes auf einen Triumphbogen und damit auf den harten Kampf und schließlich glorreichen Sieg des spätan- tiken Christentums anspielen. Der heilige Gregor, Patron der Chiesa Nuova, wurde von Baronio als gelehrter Kirchenva- ter und früher Reformpapst besonders verehrt. Rubens hatte auch bei dessen Darstellung die Antike im Blick, allerdings auf dem Umweg über Raffael: Die machtvolle bärtige Gestalt mit dem auf dem linken Oberschenkel abgestützten Buch und der erhobenen rechten Hand zitiert die Figur des Aristoteles auf Raffaels Fresko Die Schule von Athen im Vatikan (Abb. 5). Somit kommen bei Rubens die heidnische und die christliche Antike, die Kunst des Altertums und der Renaissance zusammen. Sein Gemälde ist in allen Elementen römisch geprägt und in formaler Hinsicht beachtlich: Bewegung und Statik, Licht und Schatten sind in einer spannungsvollen, mit Asymmetrie spielenden Komposition zur Balance gebracht. Den Auftrag für die Chiesa Nuova empfand Rubens als die schönste Herausforderung, die er sich vorstellen konnte ( la più bella et superba occasione di tutta Roma ). 15 Santa Maria in Vallicella sei die berühmteste und meistfrequentierte Kirche im Zentrum Roms, schrieb er in seinem bereits zitierten Brief an Chieppio. Auch sei sie mit Bildern der wichtigsten Maler Italiens geschmückt, die an diesem Ort miteinander inWettbewerb träten ( adornata a concorrenza di tutti li più valenti pittori d’Italia ). 16 Wen hatte Rubens dabei im Blick? Er wird an den alten Federico Barocci gedacht haben, der 20 Jahre zuvor eine Heimsuchung für die Chiesa Nuova geschaffen Abb. 3 PETER PAUL RUBENS Studie für die Heilige Domitilla 1606 Öl auf Papier auf Holz aufgezogen, 75×56 cm Bergamo, Accademia Carrara Abb. 4 Kopf der »Juno Ludovisi« römisch, 1. Jahrhundert Marmor, 116 cm Rom, Museo Nazionale Romano Abb. 5 RAFFAEL Schule von Athen 1510/11 Fresko, Vatikan, Apostolischer Palast, Stanza della Segnatura (Detail)
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