Leseprobe

59 pazität der früheren Brüche erschöpft war. Bei dem vorliegenden Fragment aus Sandstein handelt es sich um die obere Partie eines Tier- bzw. Dämonenkopfes. Die untere Hälfte des blockhaft ge- schlossenen Gesichts ist etwa bis zur Höhe der Nase verloren. 12 Die streng linear aufgefasste Physiognomie wird wesentlich durch die glotzenden, queroval hervortretenden Augen in kräf- tiger brillenartiger Rahmung bestimmt. Über der niedrigen Stirn setzt die kalottenförmig gewölbte Haar- bzw. Felltracht an, aus der seitlich zwei zugespitzte, an Katzen oder Löwen erinnernde Ohren (von denen das linke beschädigt ist) herausschauen. Zusammen mit den beiden verwandten Chemnitzer Dämo- nenmasken zählt auch das Löwenköpfchen zur bauplastischen Ausstattung der romanischen Klosterkirche St. Marien. Ihre Bau- geschichte sowie ihre in den wesentlichen Zügen rekonstruier- bare Gestalt ist in jüngster Zeit mehrfach dargestellt worden. 13 Demnach ist in den Jahren um 1160/1165 mit der Aufführung der steinernen Ostpartie – Chorquadrat mit Hauptapsis sowie die beiden ebenfalls apsidial geschlossenen Nebenchöre – zu rech- nen, ohne dass der Bau vollendet worden wäre. Erst Mitte der 1220er Jahre konnte die zugehörige dreischiffige Pfeilerbasilika angefügt werden. Über die architektonische Gliederung der frü- hesten Bauteile gibt der in seiner Substanz zwar weitgehend aus- gewechselte, in den Grundzügen jedoch erhaltene südliche Ne- benchor Auskunft. Die Frage nach dem ursprünglichen Standort der kleinen Maske am Kirchengebäude muss offenbleiben. Es liegt jedoch nahe, sie entweder im Kontext eines Portals oder – was wahrscheinlicher ist – der Hauptapsis zu verorten, wo sie in das Gerüst der architektonischen Gliederung einbezogen war. Aus derVielzahl der mit der Chemnitzer Klosterkirche typo- logisch vergleichbaren Anlagen sei auf die Stiftskirche in Kö- nigslutter (begonnen 1135 unter Kaiser Lothar von Süpplingen- burg, dem Stifter der Chemnitzer Benediktinerabtei) sowie die nach 1160 im Bau befindliche Augustinerchorherren-Stiftskir- che in Zschillen/Wechselburg hingewiesen. Beide zeigen an ihren Hauptapsiden ornamentale bzw. skulpturale Programme. 14 Eingebunden in ein Gliederungssystem aus Lisenen und Rund- bogenfriesen »treiben Monstren, Kobolde,Tier- und Menschen- masken ihr Unwesen. In den Dienst des Kirchenbaus gezwun- gen, sind sie dazu da, das Böse abzuwehren«. 15 Dieses Thema nimmt in der mittelalterlichen Bildkunst eine zentrale Stellung ein. 16 Tierdarstellungen, Fabel- und Mischwesen in fantasievoll-­ bizarren Ausprägungen gehörten zum Standardprogramm der romanischen und gotischen Bauplastik und Malerei. Großer Wert wurde dabei auf die Ausbildung der Gesichter gelegt, die nicht zwangsläufig mit einem Rumpf verbunden sein müssen, sondern ebenso als Solitäre erscheinen können. Häufig bildete man sie in Form typisierter Masken aus, mit denen die »Gestalt des Phantastisch-Grotesken« ebenso gemeint ist wie jene des »Drohend-Furchtgebietenden«. 17 Damit soll der dämonische Charakter der Unterwelt herausgestrichen werden, dem der Christenmensch im geistlichen Kampf zu widerstehen hat. In diesem Sinne lässt sich auch der einstige bauliche und ikono- grafische Zusammenhang des Chemnitzer Maskenfragments denken. Die stilistischen Merkmale sind dabei von so allgemei- ner Art, dass eine kunsthistorischeVerortung nur in groben Zü- gen möglich und sinnvoll erscheint.Am nächsten stehen einige Skulpturen des Wechselburger Apsisprogramms, und zwar die Köpfchen bzw. Masken im südöstlichen Abschnitt (Nr. 4, 6–8 bei Krause 18 ). Nach Heinrich Magirius werden hier Einflüsse aus der oberrheinisch-elsässischen Kunstlandschaft wirksam. Gleiches gilt auch für die wenigen bislang bekannt gewordenen Reste der bauplastischen Ausgestaltung des Pegauer Benedikti- nerklosters St. Jakob, von dem um 1136 der Gründungskonvent des Chemnitzer Klosters ausgesandt wurde. Hier ist insbeson- dere auf das große Fragment einer Doppelarkade hinzuweisen (um 1120–1150), das mit seiner wie ausgeschabt wirkenden Ornamentik wiederum starke Parallelen zum Bauschmuck der Chemnitzer Klosterkirche aufweist. 19 Die oben bereits erwähnte Herkunft des für das Löwenköpf- chen und die beiden Dämonenmasken verwendeten Materials aus dem mittleren Elstergebiet, das übrigens auch in PegauVer- wendung fand, belegt über die kirchenorganisatorischen und kunstgeschichtlichen Bezüge hinaus den engen Austausch zwi- schen Mutter- und Tochterkloster. Stilistisch repräsentiert diese Objektgruppe, zu der außerdem noch dasWestportal der Lausi- cker Benediktiner-Prioratskirche St. Kilian (um 1150) sowie die vegetabile Kämpferornamentik amWestportal der Dorfkirche in Remse (letztes Viertel des 12. Jahrhunderts) zu rechnen sind, zwar eine frühere Stufe als die Wechselburger Plastik. 20 Gleich- wohl finden sich dort neben »modernen« Motiven – erinnert sei beispielsweise an die Figurengruppe unterhalb des mittleren Apsisfensters, in der zwei (recht gemütlich dreinblickende) Lö- wen eine hockende Männergestalt bedrohen (Nr. 9–11 bei Krause) – auch retrospektive Züge, zu denen die oben beschrie- benen Tiermasken zählen. 21 Gleiches gilt für die bauplastische Ausgestaltung weiterer Wechselburger »Schulbauten«, wie die Chemnitzer Marktkirche St. Jakobi, die im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts entstand. 22 Deren allgemeine Fortschrittlichkeit gegenüber der Chemnitzer Klosterkirche ist von der Forschung stets betont worden. Trotzdem treten hier durchaus ebenfalls altertümliche Motive auf, die wiederum an die archaisch aufge- fasste Bauplastik der Benediktinerkirche erinnern. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf das Fragment eines Portal- tympanons mit der Darstellung eines Basilisken hinzuweisen. 23

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