Leseprobe
61 Fragment eines Kämpfers mit Mönchsgesicht 24 Angeblich wurde das Stück bei Grabungsarbeiten im Bereich des Westwerks der Schloßkirche gefunden. Hier waren in Vorberei- tung des Turmbaus seit 1894 umfangreiche Verstärkungsmaß- nahmen im Gange, die vor allem eine Nachgründung der Fun- damente mit sich brachten. Der Kirchenvorstand überließ es anschließend demVerein für Chemnitzer Geschichte, in dessen Sammlungen es allerdings nicht explizit nachweisbar ist. Zwi- schenzeitlich scheint es wieder an die Kirchgemeinde zurück- gegeben worden zu sein. DenAkten des Schloßbergmuseums ist jedenfalls zu entnehmen, dass es im Jahr 1984 von dort erneut dem Museum übergeben wurde. Das Fragment in den Abmessungen 38 mal 24 mal 60 Zen- timeter besteht nach Frieder Jentsch aus einerVarietät des weiter oben bereits erwähnten Chemnitzer Kristalltuffs mit wenigen Einschlüssen von Quarzen und Schieferstückchen. Der Quader weist an allen Seiten Bearbeitungsspuren auf. Eine Schmalseite ist doppelt viertelkreisförmig ausgekehlt. Das Zwischenstück wird durch die halbplastisch hervortretende Darstellung eines männlichen Hauptes ausgefüllt, dessen charakteristische, ge- strähnte Haartracht die Bezeichnung als »Mönchskopf« oder »Mönchsgesicht« nahelegt. Das Antlitz ist streng frontal ausge- richtet. Es weist eine spitz zulaufende Kinnpartie auf; die Nase zeichnet sich lediglich noch als Kontur ab. Die physiognomi- schen Details sind in einfacher Weise reliefartig ausgearbeitet. Die leicht nach oben gezogenen Mundwinkel sowie die weit geöffneten Augen verleihen demAusdruck trotz der maskenhaf- tenAuffassung einen vergeistigt-freundlichen Ernst. Die helmar- tige Haartracht besteht aus langen, bis knapp über die (stark beschädigten) Ohren fallenden Strähnen, die am unteren Ansatz wellenartig gerollt erscheinen. Die gesamte Skulptur ist stark durchVerwitterungsspuren sowie durch mechanische Beschädi- gungen gezeichnet. Im hinteren Drittel der Längsseite links be- findet sich ein größerer Ausbruch bzw. eine Art Ausklinkung. Die Beschaffenheit des Fragments lässt am ehesten an die ursprüngliche Einbindung in eine Portalanlage denken, wo es in der Kämpferzone am Übergang zwischen Gewände – in diesem Fall wohl das rechte – und Tympanon eingefügt war. Eine Vor- stellung davon vermittelt die prachtvolle Doppelportalanlage an der Nordseite der Wechselburger Stiftskirche aus der Zeit um 1180/1200. Am westlichen der beiden Zugänge erscheint dort neben einem Stierkopf zudem ein menschlicher Atlant als »Trä- ger« der reliefgeschmücktenTympanonplatte.Auch ist in diesem Zusammenhang an die beiden Atlanten-Engel unterhalb des Tympanons der Goldenen Pforte von St. Marien in Freiberg (um 1225–1230) zu erinnern. Der Standort sowie die architektoni- sche Ausprägung des Chemnitzer Portals müssen aufgrund der unzureichenden Befundsituation hypothetisch bleiben. Infrage kämen beispielsweise die Stirnseiten der beiden Querschiffarme. Während im Süden eine der heutigen Situation vergleichbare Pforte zwischen Kreuzgang und Kirche anzunehmen ist, ist auf der Nordseite eine entsprechende Öffnung zwar nicht nachweis- bar, allerdings auch nicht auszuschließen. 25 Sollte sich vor der Nordseite der Kirche tatsächlich der Mönchsfriedhof befunden haben, was bislang archäologisch nicht nachgewiesen werden konnte, hätte diese Pforte im Rahmen der klösterlichen Begräb- nisliturgie eine Rolle gespielt, wie es bei vergleichbaren »Toten- pforten« der Fall ist.Auch im Bereich des Langhauses ist mit zwei Portalen zu rechnen, und zwar im zweiten Joch (vonWesten aus gesehen), wobei das südliche die Kirche mit dem – zum dama- ligen Zeitpunkt wohl noch provisorischen – Nordflügel des Kreuzgangs verband. Gustav FriedrichWaagen beschrieb im Jahr 1843 – ohne nähere Lokalisierung – ein Stufenportal, das mit seinem »runden Bogen, den Verzierungen von vier Capitälen und in zwei Basen von Pilastern noch den romanischen Styl« Abb.5 F ragment eines Kämpfers mit Mönchsgesicht, erstes Viertel 13. Jahrhundert, Chemnitz, Schloßbergmuseum Abb.4 Fragment eines Kämpfers mit Mönchsgesicht, erstes Viertel 13. Jahrhundert, Chemnitz, Schloßbergmuseum
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