Leseprobe
93 Wer Adrian Zinggs Federzeichnung unter der Bezeichnung »Schlos und Kirch bei Kemniz« aus dem Jahr 1774 mit dem heutigen Anblick des einstigen Klosters und späteren Schlosses vergleicht, vermisst das repräsentative Abtshaus rechts neben der Schloßkirche mit seinen Türmchen, Giebeln und Erkern. Nach bisheriger Auffassung vor dem Jahr 1499 errichtet, diente dieses Gebäude dem kunstsinnigen Bauherrn Abt Heinrich von Schlei- nitz zur Erfüllung seiner territorialherrschaftlichen Aufgaben in der Benediktinerabtei Chemnitz sowie im gesamtenArchidiako- nat. 1 Womöglich sollte das Erscheinungsbild an den spätgoti- schen Prachtbau am Bischofssitz in Meißen erinnern, wie auch die drei Vorhangbogenfenster am Refektorium im 1510 neu er- bauten Südflügel der Klausur. 2 Anlässlich der vorzeitigen Nie- derlegung seines Amtes als Oberhaupt des Klosters vereinbarte Abt Heinrich im Jahr 1522 die weitere uneingeschränkte Nut- zung seines Hauses sowie eine opulente Bewirtung bei Tisch Andrea Kramarczyk Abb.1 Adrian Zingg, Ansicht des Chemnitzer Schlosses , lavierte Federzeichnung, 1774 einschließlich der ihn besuchenden Freunde. 3 Auch die Landes- fürsten weilten gelegentlich als besondere Gäste in der Abtei. Im Jahr 1540 listete einmal Heinrichs Nachfolger Abt Hilarius auf, wie kostenintensiv der Regent mit seiner Familie, seinen Gästen und 76 Pferden im Kloster Logis nahm. 4 So verwundert es nicht, dass der prächtigste profane Raum im Chemnitzer Benedikti nerkloster gemäß seiner Nutzung imAllgemeinen die »Fürsten- stube« genannt wurde. 5 Bereits in den 1480er Jahren sollen die Chemnitzer Benediktinermönche ihren Abt dafür gescholten haben, dass er die Ritterschaft auf Kosten des Klosters aushalten würde. 6 Den Landesherrn persönlich zu bewirten und standes- gemäß unterzubringen, wird indes für Abt Heinrich von Schlei- nitz und ebenso für seinen Nachfolger Abt Hilarius eine Ehre gewesen sein. Noch zwei Jahre nach demTod Herzog Georgs des Bärtigen (1471–1539) war zur Benennung des für den Fürsten geeigneten Raumes der Abtei mit einem runden Tisch in dem runden Erker im Klosterinventar konkret von »herzog iorgen stube« die Rede. 7 Der Musiker Cerbonio Besozzi bezeugte wenig später die gelungene Fernwirkung der vorgefundenen Schloss anlage »in einem sehr schönen Kloster auf einem besonders lieblichen Hügel«. 8 Die Neue Abtei. Wohn- und Gasträume Abt Heinrichs von Schleinitz (1483–1522) in der frühesten Schlossbeschreibung
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1