Leseprobe

94 Trotz seiner Bedeutung für die Zeitgenossen und der Beliebtheit bei späteren Malern fand das Abtshaus in der Forschung bislang kaum Interesse. Das Vorhaben des Denkmalpflegers Walter Bachmann, diese nicht erhaltenen Gebäude aus Inventareinträ- gen und Plänen des 17. und 18. Jahrhunderts zu rekonstruieren, ward kaum bedacht und sein Grundriss wurde gern als Quelle behandelt, obwohl die Maße und Winkel um den Abtshof mit den zugänglichen Originalplänen nicht vereinbar sind. 9 Der Ge- genstand verdient jedenfalls eine genauere und von Bachmanns Grundriss unabhängige Betrachtung, eine Ausweitung der Quel- lenbasis und darauf gründende Vorschläge. Dieser Beitrag über die neu errichtete Abtei Heinrichs von Schleinitz befasst sich zuerst ausschließlich mit Aussagen aus den Inventaren, da diese amtlichen Nachweise des Bestands heute nicht mehr vorhandener Räume eine verlässliche und beinahe homogene Quellenbasis darstellen. Nach einem Überblick da­ rüber, welche Einzelaussagen zur Ausstattung und Gestaltung der Räume aus den verschiedenen Schlossinventaren zu gewinnen sind, wird das zumVerständnis von Lage und Struktur der Räume maßgebliche und hier edierte Verzeichnis der Gemächer vorgestellt. Ausgehend von der Fürstenstube wird dann das Gebäude der Neuen Abtei im Inneren beschrieben. Danach widmen sich zwei Abschnitte den Erkenntnissen, die Ansichten, Grundrisse und Pläne des 17. und 18. Jahrhunderts vermitteln, welche ihre Aufmerksamkeit je nach Zweck der Dar- stellung auf unterschiedliche Aspekte richten und daher quel- lenkritisch aufwendiger zu betrachten sind. Darauf folgen eine Lagebeschreibung der noch erhaltenen Kellergewölbe und Über- legungen zu den Vorgängerbauten am betreffenden Standort sowie je ein rekonstruierter Umriss der Neuen Abtei und der älteren Gebäude. Zuletzt soll über die Chronistik in den Abtshof geblickt werden. 1. Die Inventare im Überblick Konkrete Einblicke in die im einstigen vorderen Hof zur Verfü- gung stehenden Räume gewähren das bereits zitierte Inventar- verzeichnis des Klosters aus dem Jahr 1541 sowie die seit 1559 datierten und aktualisierten Schlossinventare, welche die herr- schaftlichenVerhältnisse und das jeweilige Gebäudemanagement widerspiegeln. 10 Bislang wurden die Schlossinventare zu Rate gezogen, um die Geschichte von Schloss Chemnitz im 16. und 17. Jahrhundert nachzeichnen zu können, bevor es im Dreißig- jährigen Krieg stark verwüstet wurde. 11 Doch viele Einzelheiten in den Inventaren späterer Jahrhunderte, die lange nach der Reformation und der Säkularisation des Benediktinerklosters verfasst wurden, vermögen schlaglichtartig, den Klosteralltag in den Gebäuden außerhalb der Klausur zu erhellen, über den kaum Quellen vorliegen. Die folgenden Beispiele demonstrieren dies. Im rundenTurm an der oberen Ecke amWeg zum Küchwald gab es ein mit dem Stammbaum der Familie von Schleinitz ausgemaltes Stübchen, das möbliert war mit einem Tisch und Bänken ringsherum. 12 Ein »altes Kachelwerk mit dergleichen Säulen« in der »von-Schleinitz-Stube« galt im Jahr 1735 als bemerkenswert. 13 Die repräsentativsten Räume des neuen Abts- hauses erhielten holzgetäfelte und farbig bemalte Zimmerde- cken, im besten Fall hatten diese sogar »vergüldete höltzerne rosen«. 14 Passend zur rotbemalten Holztäfelung der sogenannten Roten Stube oder Fürstenstube trugen die acht Fenster dieses schon erwähntenWohnzimmers von der Größe eines Saales acht »rote leinbach vorhenge«. 15 Das vom dortigen Hof aus erreich- bare »cämmerlein nachn münchsberge zu« hatte ein »in der mauer geferttigtes fenster dorinnen zwey eiserne stäbe«. 16 Die Schmiedearbeiten an einer runden schwarzen Tür am Wendel- stein fielen noch 1628 ins Auge, denn es waren »drey schöne außgeflammete bande«. 17 Der blau und rot angestrichene Kamin mit der Jahreszahl 1529 in der Fürstenstube wurde erst im Jahr 1735 genauer beschrieben. 18 Einer der im Jahr 1541aufgeführten zweiTische aus Ahornholz scheint noch 1628 im gleichen Raum vorhanden gewesen zu sein. 19 In die alte Hofstube am vorderen Hof passten neun Tische. 20 Des geheimen Rates Dr. Georg Komerstadt (1498–1560) »gemach vber der alten hofstube« war mit zwei Tischen ausgestattet und die zugehörige Schlaf- kammer mit einem Himmelbett. 21 Die Zuschreibung derartiger Aussagen zu bestimmten Räu- men bzw. Gebäudeteilen birgt gewisse Unsicherheiten. Sie be- ruht auf einem Gesamteindruck aus der Lektüre vieler verschie- dener Inventare zur gesamten Anlage sowie den daraus gewon- nenen eigenen Vorstellungen beispielsweise über das Gebäude der Neuen Abtei. Jede versuchte Rekonstruktion der Raumzuge- hörigkeiten und der Gebäudestruktur ist schwierig, denn selten wird in Inventaren erklärt, wie die Räume zueinander liegen bzw. warum die Beschreibung an einer bestimmten Stelle unter- brochen wurde.War es vielleicht, weil der Weg ein paar Stufen hinauf führte in den folgenden Raum, oder ging es gleich in der nächsten Etage weiter?Wann überquerte die mit demVerzeichnis befasste Person den Hof und betrat ein anderes Gebäude? Wur- den einzelne Räume in späteren Inventaren nur anders benannt oder handelt es sich um neue Gebäudeteile bzw. um neu ausge- baute Räume? Eines der infrage kommenden Manuskripte, welches zeitlich zwischen dem Klosterinventar von 1541 und dem frühesten da- tierten Schlossinventar aus dem Jahr 1559 liegt, zeichnet sich dadurch aus, dass es die Lage der beschriebenen Räume zuein- ander schildert. Dieses für die Rekonstruktion der Neuen Abtei

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