Leseprobe
95 am ehesten geeignete »Verzaichnus aller gemach inn dem schloss vor Kempnitz«, künftig kurz Verzeichnis der Gemächer ge- nannt, soll im folgenden Abschnitt im historischen Kontext be- sprochen und im Anschluss an den Beitrag vollständig wieder- gegeben werden. 2. Datierung Der Autor des Verzeichnisses der Gemächer orientierte sich nicht am Inventar der Klostergebäude aus dem Jahr 1541, welches im Zu- sammenhang mit der Säkularisierung des Benediktinerklosters erstellt worden war. Wahrscheinlich kannte er es nicht. Er be- schrieb die Bausubstanz klar und strukturiert unter Beachtung der Bauhöhen der Geschosse. Er scheint den teilweisen Umbau zum Renaissanceschloss unter Kurfürst Moritz von Sachsen (1521–1553) miterlebt zu haben und differenzierte zwischen der Zeit vor und nach der Baufertigstellung – die Bauzeit lag entsprechend der fürstlichen Korrespondenz zwischen Herbst 1548 und Spätsommer 1549. 22 Dies wird vor allem deutlich an seinem Eintrag zur Fürstenstube in der ehemaligen Abtei: »die rothe stube ist churf[ürst] Moritzen gemach gewest«, was frei- lich die gesamte Regierungszeit von Herzog Moritz einbezieht. 23 Da Moritz von Sachsen ausdrücklich als Kurfürst betitelt ist, kann das Verzeichnis nicht vor Verleihung der Kurwürde am 24. Feb- ruar 1548 verfasst worden sein, wie die Angabe zur Laufzeit der Akte des Geheimen Rates »1308–1543« nahelegt. Die oft sehr anschaulichen Erläuterungen zur Raumfunktion, Gestaltung und zur geografischen Lage inklusive der Aussicht aus den Fenstern waren besonders für jemanden von Interesse, der die Anlage noch nicht oder wenigstens nicht nach dem nun offenbar abgeschlossenen Umbau kannte. Kurfürst Moritz kommt damit als Adressat nicht infrage. Auftraggeber könnte er schon gewesen sein. Für den Hofmeister bzw. den Organisator des Hoflagers im Frühherbst 1549 etwa waren die zurVerfügung stehenden Räume, Betten und Pferdeställe gewiss von Relevanz. Somit benennt das Verzeichnis der Gemächer nur die Personen, deren Raumzuteilung bereits festgelegt war. Im Gegensatz zu den Inventaren des Schlosses, in denen es heißt, »in der Stube A« stehen zwei Tische, »in der Kammer B« ein Himmelbett, daran fehlt ein Vorhang etc., beschreibt das Verzeichnis der Gemächer in erster Linie die Räume selbst und die variable Ausstattung nur, um Attraktivität und Potenzial des Raumes herauszustellen, so etwa eine große »stube vff 7 tisch getaffelt, doran eine kammer vff 3 bette, gehen die fenster in forder hoff vnd gegen dem hoffgarten«. 24 Zur Bezeichnung der kurfürstlichen Zimmer fällt bei der Anrede des Fürsten eine gewisse höfische Eleganz und sprachlicheVielfalt auf, die nicht so formelhaft ist wie die Inven- tare der Verwalter bzw. ihrer Bediensteten. Es ist durchaus vor- stellbar, dass ein Rat diese neue Residenz auf das Funktionieren des gesamten Hofes hin überprüfte und zugleich für sich und seine Freunde bei Hof eine gute Unterbringung sicherstellen wollte. Durch den Neu- und Umbau kam es für die mit dem Fürsten reitenden Hofräte zu neuen Raumnutzungen, so der großen Stube, »darin man itzo cantzley heldet«, wohl nicht der »reutterstub«. 25 Sollte beispielsweise der Geheime Rat Georg von Komerstadt, Doktor beider Rechte, damit befasst gewesen sein, vermied er es, seinen Namen und die Räume, die er be- wohnte, irgendwie hervorzuheben. 26 Zusammengefasst: Das Verzeichnis der Gemächer stammt sehr wahrscheinlich aus dem Jahr 1549 und gelangte gemeinsam mit anderen Chemnitz betreffenden Schriftstücken ins Archiv des Geheimen Rates.Auf dieseWeise stand es für spätere Abfassungen von Inventaren des Schlosses Chemnitz nicht als Vorbild zur Verfügung. Es blieb singulär. 3. Der zentrale Raum der Neuen Abtei Das spätgotischeWohnschloss Abt Heinrichs von Schleinitz war – ebenso wie die Albrechtsburg in Meißen – in keiner Weise symmetrisch, sondern schmiegte sich den natürlichen Gegeben- heiten entsprechend an den recht steil abfallenden Berg. Erhalten blieben von diesem Gebäude nur Fundamente, drei Tonnenge- wölbe der tiefsten Kelleretage, der untere Teil des viereckigen Eckturms und eine Außenmauer am Hohlweg. Auch der bereits erwähnte prachtvolle Saal im ersten Ober- geschoss war nicht symmetrisch gestaltet, sondern spiegelte in seiner charakteristischen Form die Gestalt der Ostfassade des Gebäudes mit seinen Erkern und Türmchen wider. Seine Größe war beachtlich, aber insbesondere wegen seiner Form, seiner Farbe und der Ausstattung ist dieses Gemach in den verschiede- nen Inventaren zuverlässig als »Rote Stube« bzw. als »Fürsten- stube« zu erkennen. Die rote Farbe an der Wand- und Decken täfelung gehörte mit großer Sicherheit zur Erstausstattung und wurde nie infrage gestellt. Auch in dem westlichen Eckgebäude am nördlichen Hof gab es eine rot getäfelte Stube. Der dort im Rundturm an die Wand gemalte Stammbaum der Familie von Schleinitz wurde vielfach bezeugt; Carl Lehmann überlieferte folgende Inschrift: »Nach Christi unsers Herrn seliger GeburtTausend fünfhundert und im sechzehenden Jahre ist diese Wohnung gezieret und gemalet worden zu Ehren und Gedächtniß dem Geschlecht von Schlei- nitz.« 27 Vielleicht war dieses Wohngebäude mit Turm eine Hin- terlassenschaft von Abt Johannes von Schleinitz (1425–1455), dessen Wappen und Name eine medizinisch-naturkundliche
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