Leseprobe

28 Kurzer Abriss der Entwicklung des Kronleuchters Die ersten Hängeleuchter waren geschmiedete Reifen, Räder oder auch Stämme mit Ästen, woran entweder Halterungen für Kienspäne, Haken für Öllämpchen oder Tüllen für Lichter oder Kerzen befestigt werden konnten. Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt. Auch Geweihe – Jagdtrophäen, die für ihre Besitzer eine hohe Bedeutung hatten – konnten unkompliziert mittels Kerzentüllen zu Lichtträgern umfunktioniert werden. 46 So entstanden in der Folge mittels kostbarer und vor allem Licht reflek- tierender Materialien Kunstwerke, die im höfischen Bereich als Glanzpunkt eines Raumes – am Tag durch das Licht der Sonne und bei Festlichkeiten in der Nacht mittels der darauf brennenden Kerzen – von Stolz, Vermögens- verhältnissen und Beziehungen des Besitzers kündeten. Die ältesten erhaltenen Leuchter hatten Adelige im 11. und 12. Jahrhun- dert für bedeutende Kirchen gestiftet. 47 Diese mittelalterlichen Leuchter, die alle in Form eines Rades oder Reifens gestaltet sind, waren Abbilder des himmlischen Jerusalems, »welches vom Himmel herabkommt und geschmückt ist, wie eine Braut für ihren Mann«. 48 Die früheste bisher gefundene Quelle aus dem höfischen Bereich stammt vomAnfang des 13. Jahrhunderts. In dem 1200–1210 entstandenen Versroman »Parzival« von Wolfram von Eschenbach (1170–1220) ist an mehreren Stellen von »viel krônen rîch von golde dar ûf kerzen lûhten« 49 in einem Innenraum die Rede. Die ältesten erhaltenen Kronleuchter im Profanbereich datieren ins 14. Jahrhundert. Sie wurden aus Geweihen von Rot- oder Damhirschen zusammengesetzt und oft mit geschnitzten Heiligen oder anderen mytho- logischen Figuren kombiniert, die als Leuchtermännchen oder Leuchter- weibchen bekannt sind. Seit dem 15. Jahrhundert hängen in Kirchen häufig sogenannte Marien- leuchter. Das waren geschnitzte und farbig gefasste Mariendarstellungen, die Mondsichelmadonnen – mit Kerzen umgebene, beleuchtete Gegen- stände der Andacht. 50 In einigen Gegenden Europas wie den Niederlanden und Belgien, Schwe- den, aber auch in Deutschland entstanden seit dem 15. Jahrhundert Kron- leuchter aus der Legierung Messing. 51 Vor allemNürnberg war zunächst ein Zentrum der Herstellung. Ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts hiel- ten diese Messingkronleuchter als Stiftungen von Bürgern Einzug in luthe- rische Kirchen. 52 Fast immer waren sie mit symbolträchtigen Verzierungen ausgestattet. 53 Sie finden sich in höfischen (Abb. 11) und bürgerlichen Fest- räumen. Ihre seit Mitte des 17. Jahrhunderts annähernd gleich gebliebene Form ist inzwischen als klassisch zu bezeichnen und in zahlreichen Exem- plaren überliefert. 54 11 Detail eines Kronleuchters aus: Der Riesensaal des Dresdner Schlosses bei der Verleihung des Hosenbandordens an Kurfürst Johann Georg IV. von Sachsen Johann Samuel Mock (1687–1737) 1693 Deckfarbenmalerei Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. C 1961-113 Deutlich sind die großen Messing­ kronleuchter mit einem Doppeladler als oberem Abschluss auf der Darstellung sichtbar.

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