Leseprobe

95 vergleichen ist das mit dem Verbot der Weihnachtskrippen in katholischen Kirchen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, der Zeit der Aufklärung, die – vom nahen Böhmen beeinflusst oder von böhmischen Exulanten 196 importiert – in den Weihnachtstuben im Erzgebirge aufgestellt wurden. 197 Ähnlich könnte es sich bei den Schwebeengeln abgespielt haben. Nach der »Verbannung« der Taufengel aus den Kirchen fertigten mehr oder weniger begabte Schnitzer für sich und möglicherweise auch für andere die Engel in einem Format, welches sich für Stuben eignete. Vermutlich wurden sie zu Beginn bzw. in der Mitte des 19. Jahrhunderts nur für den eigenen Gebrauch gefertigt, seit dem Ende des Jahrhunderts kann von Kleinserien ausgegangen werden; die Ähnlichkeit vieler noch vorhandener Engel untereinander lässt diesen Schluss zu. Ernst Wilhelm Richter schildert vor 1852 in seiner »Beschreibung des Königreiches Sachsen« den Gebrauch eines solchen schwebenden Engels: »an der Decke hängt ein […] groß geschnitzter hölzerner Engel, der mit seinen beiden Händen einen Bogen hält, auf welchem kleine (bemalte) Talgkerzen stecken« . 198 Gemeinsames Attribut der meisten dieser Engel sind die Leuchter, die sie als Verkünder der Geburt des »Lichts der Welt« in den Händen tragen. Manchmal ist es eine einzelne Kerze, manches Mal zwei, oft sind es spin- nenähnliche Leuchter (Abb. 72) oder gar ein kleiner Kronleuchter, eine Spinne in einer oder in beiden Händen. Typisch für eine hauptsächlich in Schneeberg hergestellte kleine Serie von Schwebeengeln sind in die Taille des Engels gesteckte s-förmige Leuchterarme (Abb. 73). 199 Häufig (Abb. 74, 75) tragen die Engel einen Blumenkorb in der Hand, womit möglicherweise die bei der Geburt Christi aufblühenden Blumen symbolisiert werden, die beispielsweise der lutherische Theologe und Kirchenlieddichter Paul Ger- hardt (1607–1676) in der letzten Strophe seines bekannten Liedes »Ich steh an Deiner Krippen hier« beschreibt: »Nehmt weg das Stroh, nehmt weg das Heu, ich will mir Blumen holen, daßmeines Heilands Lager sei auf lieblichen Violen; mit Rosen, Nelken, Rosmarin aus schönen Gärten will ich ihn von oben her bestreuen.« Damit wird auch zum Ausdruck gebracht, dass mit der Geburt Christi das verlorene Paradies wiedergekommen ist. 200 Eine andere Deutung könnte sein, dass mit Christi Geburt der Welt der Frühling anbricht, was in erzgebirgischen Weihnachtsspielen ein Engel mit einem Kranz aus Rosen verkündet. 201 Tragen die Schwebeengel eine Trompete 202 oder Palmenwedel, handelt es sich um Jubel- und Verkündigungsengel. Auch Spruchbänder dienen als Schmuck oder mit Kerzen bestückte Bögen, wie das Richter 1852 beschreibt. Die aus Holz geschnitzten und farbig gefassten Engel waren wie ihre großen Vorbilder entweder mit einem antik anmutenden gegürteten Gewand, häufig mit einer freien Schulter und mit geschlitztem Rock (Abb. 74), der meist ein Knie zeigte oder mit einem Lendentuch (Abb. 73)

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