Leseprobe

14 1 Altargemälde mit der Darstellung der Geburt Christi Niederländischer Meister Niederlande, 15. Jahrhundert St. Annenkirche, Annaberg-Buchholz Auf dieser Darstellung der Heiligen Familie ist das Jesuskind die Lichtquelle. Licht ist existenziell für die Menschheit. Das Licht der Sonne, das Tages- licht, ermöglicht den Menschen, sich in ihrem Umfeld zu orientieren. Seit Menschen die Fähigkeit haben, Feuer zu kontrollieren und gezielt Licht zu entfachen, ist es möglich, die Nacht zu erhellen. Der Aufwand, den das Entfachen und Hüten verursachten, führte zu seiner Verehrung und hielt Einzug in alle Religionen. Im Christentum sym- bolisiert Jesus Christus das »Licht der Welt« (Abb. 1), dessen Menschwer- dung in der dunkelsten Zeit des Jahres zuWeihnachten gefeiert wird. Diese Verehrung äußerte sich gleichfalls in der Gestaltung der Träger des Lichts. Die Kostbarkeit des Lichts Um die Bedeutung der Lichtinszenierung der erzgebirgischen Weihnacht mit seiner speziellen Lichterfülle ermessen zu können, ist es erforderlich, Kenntnis vom hohen Wert des künstlichen Lichts vor der Einführung des elektrischen Stroms um 1900 zu haben. Im Gegensatz zu heute waren die Mittel zu dessen Erzeugung kostspielig und der Aufwand groß. Licht wurde deshalb im Alltag nur bei wirklichem Bedarf angezündet. Licht, das nicht ausschließlich der Beleuchtung diente, galt als Verschwendung und wurde als Luxus bezeichnet. Der aus dem Lateinischen kommende Begriff bedeu- tet verschwenderischer Aufwand . Der Wortstamm von Luxus ist das latei- nische lux , welches mit Licht übersetzt wird. Lux (lx) ist außerdem die phy- sikalische Einheit für die Beleuchtungsstärke einer Lichtquelle. 1 Die Zeiten, als beim abendlichen Anzünden des Lichts eine Lichtdank- sagung 2 gesprochen wurde, sind lange vorüber. In der heutigen lichtüber- fluteten Zeit ist nicht mehr nachzuvollziehen, dass es kostbar sein sollte. Seit der Erfindung des elektrisch erzeugten Lichts ist ein Menschheits- traum in Erfüllung gegangen, nämlich die Nacht zum Tage zu machen. 3 Dieser »Verlust der Nacht« 4 hat weitreichende negative Konsequenzen für die gesamte Natur und für die Gesundheit der Menschen. Er bewirkt, dass der Mensch vor allem in der Stadt Dunkelheit nicht mehr als eine elemen- tare Erfahrung im Alltag machen kann. Vor der Erfindung der Zündhölzer im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts war Licht allein deshalb kostbar, weil es einiges Geschick erforderte, es zu entfachen und am Leben zu erhalten. 5 Dies illustriert eine Beschreibung in einer Sage aus der Gegend um Zwickau: »[…] schneller noch schlug er aus dem Stahle mit dem Feuersteine die Funken, um den Linnenzunder anzu- kohlen, und blies dann aus Leibeskräften nach der glimmenden Stelle, an der sich bald der aufgelegte Schwefelfaden entzündete, mit welchem [er] dann seine Öllampe ansteckte.« 6 Zunder konnte aus Baumschwämmen gefertigt werden, gebräuchlicher war der gut brennbare und leichter herzu- stellende »Linnenzunder« aus verkohlter Leinwand.

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