Leseprobe
22 Als junger Mann, eher noch als Jugendlicher, konnte es Günther Blau kaum erwarten, der kleinen Welt zu entfliehen, in der er sich gefangen fühlte. Er wuchs in der Mietwohnung eines bescheidenen Bahnbeam ten und seiner Ehefrau zusammen mit dem vier Jahre jüngeren Bruder auf. Sein Großvater hatte eine Schmiede in einen erfolgreichen Betrieb für Galvanisierung umgewandelt, der von einem Onkel weitergeführt wurde. Einige Vorfahren väterlicherseits und mütterlicherseits waren Grob- und Feinschmiede gewesen. Während sein Vater, ein sehr freundlicher und hilfsbereiter Mann, sich in der Ruhe eines überaus geregelten Lebens einrichtete und eher sportliche als kulturelle Interes sen pflegte, war die Mutter fantasiebegabt und mit einer Sehnsucht nach mehr ausgestattet. Das reine Hausfrauendasein füllte sie keines wegs aus, was in ihrem Leben zu einer großen Enttäuschung, in der Beziehung zu Krisen und insgesamt zu einer langsamen Verbitterung führte. Dennoch war Günther Blau besonders ihr gegenüber letztlich von Dankbarkeit erfüllt. Sie hatte seine künstlerische Begabung früh erkannt, ihn am Ende der Jugendzeit zur Düsseldorfer Kunstakademie begleitet, ihn dauerhaft auf seinem Weg zur Kunst gestützt und an seine Fähigkeiten geglaubt. Günther Blaus Interesse für Kunst sprang phasenweise auf den vier Jahre jüngeren Bruder Kurt über, sodass er Kunstgeschichte studieren wollte. Dann aber änderte er den Kurs in Richtung einer erfolgreichen Tätigkeit in der chemischen Industrie. Herkunft In der Nachbarschaft konnte Blau das Atelier eines Bildhauers besuchen, das ihn weitaus mehr faszinierte als die Schule, die er ein Jahr vor dem Abitur verließ. Nach der Kriegszeit und seinem Studium kehrte Günther Blau vielfach nach Elberfeld zurück, erkundete die Stadt vor dem Hintergrund seiner ersten künstlerischen Erfahrungen und Entscheidungen neu. Die direkte Umgebung seiner Kindheit hielt der Künstler zwar nicht unmittelbar in Bildern fest, später jedoch wählte er immer wieder Motive aus dem Industrierevier für seine Kunst. Auf diesen Werken sind typische, alltägliche und völlig unspektaku läre Industriebauten und Straßenecken der Wohnviertel zu sehen. Eine Verwandte spöttelte darüber, dass er sich mit dem Fotoapparat bevorzugt den Ruinen des Zweiten Weltkriegs zuwandte und kaum ein Auge für die Leistungen des Wieder aufbaus hatte. Das Gemälde Elberfelder Steinbeck (1961) zeigt eine solche Stadtansicht. Eine Ruinenwand steht im rechten Vordergrund. Auf einer aufragenden Brandmauer eines mehr stöckigen Hauses ist als Werbung der Markenname »Trumpf« zu lesen. Das könnte durchaus eine hintersinnig kalkulierte Anspielung auf den verheerenden Ausgang des Zweiten Welt kriegs sein. Die Nationalsozialisten hatten den Glauben an einen »Endsieg« zur Staatsdoktrin erhoben und furchtbare Verwüstungen hinterlassen. Mit einem relativ späten Bild, Erinnerung (1984), führte der Künst ler in die Welt seiner Kindheit zurück. Er steht dort ordentlich gekleidet als einsames Kind in einer abweisenden Welt vor einer nicht identifizierbaren Architektur aus den im Industrierevier charakteristi schen tiefroten Ziegelsteinen. Zwei rechteckige Nischen zeigen graue Flächen. Es könnte sich um leere Wandnischen handeln oder merk würdige, irreale Durchblicke ins Nichts. Der kleine Junge steht dort im Trenchcoat, und befremdlicher weise befindet sich auf dem Bürger steig an der Mauerkante ein kleines Boot. Dieses wirkt keineswegs wie ein Spielzeug, sondern wie die Miniaturausgabe eines Kriegsschiffs. Im Rückblick wusste der Künstler, dass seine Kindheit in die Kriegszeit münden würde. CO
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1