Leseprobe

Im Jahr 1964 integrierte er in einem anderen wichtigen, in seinem Œuvre einzigartigen Gemälde einige Stilllebenmotive und ein Kinderporträt. Das Kastenbild zeigt eine Art Regal ohne Rückwand mit sechs Fächern. Die Objekte in fünf Fächern stellen einfache Nahrungsmittel und Küchenutensilien dar: eine Zwiebel, eine aufgebrochene Apfelsine, eine Wurst auf Einwickelpapier, das Brust­ bein eines Huhns und eine Hühnerkralle neben Eierschalen. Mit ein paar Lebensmit­ teln ist ein ganzer Lebenskreis skizziert, vom Ei bis zum gesäuberten Tierskelett. Vergnügt und unberührt von solchen Reflektionen 44 sieht ein kleiner Junge durch diesen Kasten. Weil er noch klein ist, ragt er nur in das unterste Bilddrittel hinein. Mit dem Kopf hat er wohl den Stoff eines dunklen, am Regal hängenden Kittels hochgedrückt und sieht damit beinahe so aus, als würde er einen Turban tragen. Es handelt sich um den jüngeren Bruder des Patenkindes von Günther Blau, der großes Vergnügen an den Kindern seines Freundes Bruno Krüger und deren Spielen hatte. Der Maler selbst taucht in diesem Gemälde allenfalls symbolisch auf, denn das oberste Fach zeigt Utensilien eines Künstlers: eine Flasche mit hellem, warmtönigem, beinahe leuchtendem Öl und zwei kleine Blechnäpfe. Diese Hinweise auf eine Malerexistenz sind vor dem Strahlenkranz eines ein­ fachen Laubrechens positioniert. Die frühen Stillleben sind, wie auch Verpackte Flasche (1967), von einer Kargheit, Strenge und Schlichtheit geprägt, welche zu den Charakteristika der spanischen Stilllebenmalerei des 17. Jahrhunderts gehörten. Ganz im Gegensatz zu niederländi­ schen und italienischen Stillleben, die durch ihre Opulenz bestachen. Woher diese Nähe rührte, ist nicht bekannt. Später war sich Günther Blau der Verwandtschaft mit der spanischen Malerei sehr bewusst. Er reiste nach New York, um dort eine große Ausstellung von Francisco de Zurbarán zu besuchen, und fuhr dann einige Monate später nach Paris, um die Werke wäh­ rend der dortigen Station der Schau erneut zu sehen. CO

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