Leseprobe
Reisen »Todmüde und endlich reisesatt« – Äußerungen wie diese findet man häufig in den Tagebüchern Günther Blaus. Meist dauerte es jedoch nicht lange, bis den Künstler die Sehnsucht nach der Ferne, nach Bewegung und dem Sammeln neuer Eindrücke erneut packte. Als Vorbereitung auf die nächste Reise erstellte er Packlisten, die seine Vorfreude auf den Aufbruch unmittelbar zum Ausdruck brachten. Nach seiner ersten großen Solo-Italienreise über die Alpen bis Sizilien 1947/48 folgten bis zu seinem Tod beinahe jährlich Reisen innerhalb Deutschlands, in die Nachbarländer und immer wieder über den Tegernsee und das Ötztal nach Italien. Für die Berge, die Blau mit Erinnerungen an die frühe Kindheit verknüpfte, empfand der Maler sein Leben lang eine tiefe Verbundenheit. Nicht selten überschritt er auf seinen Reisen und Wanderungen die Grenzen der eigenen körperlichen Leistungsfähigkeit. Die ersten Reisen nach dem Zweiten Weltkrieg waren – anfangs ohne Geld und Pass, teils per Anhalter, teils zu Fuß – recht abenteuer lich. Es mangelte an vielem; Hunger, Lebensmittelkarten und die Rei sebeschränkungen der Nachkriegszeit definierten die Art des Reisens in stärkerem Maße als die persönliche Entscheidung Blaus, sich auf bescheidenem Weg fortzubewegen. Doch auch als sich die ökonomi schen Umstände etwas besserten, reiste der Maler weiterhin per Anhalter oder mit dem Leichtmotorrad umher und übernachtete öfter in Zelt und Klöstern als in bewirteten Herbergen. Mit dem Motorrad und ab 1958 mit dem eigenen Auto unternahm er vor allem Reisen nach Italien und Frankreich, später auch nach Spanien, Grie chenland und Prag. 74 Auch für längere Aufenthalte in seiner Heimatstadt Wup pertal gab es ausreichend Anlässe: für die Erkundung der dortigen Industriegebiete oder einen Ausstellungsbesuch im vom Künstler sehr geschätzten Von der Heydt- Museum. Galerie- und Museumsbesuche waren ohnehin ein wichtiger Bestandteil von Blaus Programm. Nicht nur in Nordrhein-Westfalen und Hessen, sondern auch in Berlin, München und Karlsruhe, in Den Haag, London und Paris wurden wieder und wieder die gleichen Ausstel lungshäuser und Lieblingswerke besucht, die den Künstler dann auch erneut beeindruckten. Die gesammelten Ein drücke hielt Blau nicht nur in seinem zeichnerischen und malerischen Werk fest, sondern auch in liebevoll gestalte ten Alben mit eigenen Fotografien und Kunstpostkarten. Ruthild Blau erinnert sich, wie die intensive Suche ihres Mannes nach lohnenswerten Sujets auch die gemeinsamen Reiseunternehmungen bestimmte. Zum Thema seiner Bilder machte der Künstler ganz alltägliche Motive wie Straßenzüge, Hausfassa den, Weidevieh, Bootsfriedhöfe und natürlich Landschaften. Angeregt durch seine Reisen entstanden viele Aquarelle und Skizzen, die später im Atelier als Grundlage für Tempera gemälde wie Santa Francesca Strand- leben (1954), Gassengabelung Porto- venere II (1956) und Olivenhain I (1963) dienten. Auch auf seinen Reisen hatte der Maler ein Auge für das Verfallene und Weggeworfene. Neben Ausstellungsbesuchen spiel ten ab den 1970er Jahren auch Floh markt- und Auktionsbesuche eine zunehmend größere Rolle. Hier hielt der Künstler Ausschau nach Rahmen, die er für die eigenen Gemälde nutzen konnte. Spätestens ab den 1990er Jahren wurde das Reisen für den herzkranken Blau immer beschwerlicher. Da seine Reiselust ungebrochen blieb, wurden die Reisebedingungen ent sprechend angepasst. Ausstellungs besuche und Städtereisen wurden fortan komfortabler gestaltet, lösten dabei jedoch weiterhin die gewohnte Begeisterung bei dem Maler aus. Auch den Bergen blieb er trotz der gesundheitlichen Belastung nicht fern: 1992 erfüllte er sich mit einem Ausflug an den Fuß des Matterhorns einen Lebenstraum. Die Motivsuche auf Reisen und die anschließende Verarbeitung des Gesehenen im hei mischen Atelier waren entscheidende und wiederkehrende Elemente im Künstlerleben Günther Blaus. KG
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