Leseprobe

Stillleben Eines der typischen Stillleben aus den 1970er-­ Jahren von Günther Blau zeigt eine Petroleumlampe ohne Flamme und Wachsreste einer herunterge­ brannten Kerze. Die daneben platzierten Streich­ hölzer sind erloschen. An der Halterung des Lam­ penglases aus Messing lassen sich bereits dunkle Verfärbungen erkennen. Wie in vielen seiner Still­ leben scheinen die vom Maler verwendeten Gegenstände betagt zu sein. Die Objekte waren über längere Zeit in Gebrauch, sie haben ihren »Zenit« überschritten. Die Spuren von Nutzung und Verwitterung sind nah an der Wirklichkeit; das Glas ist blind, das Metall ist gerostet und die Pflanzen sind verwelkt. 84 Als leidenschaftlicher Flohmarktgän­ ger interessierte der Künstler sich für Trödel und Kuriositäten. Auffällig sind auch die in seinen Bildern wiederkeh­ renden Maler- und Bildhauerutensilien, wie Pinsel, Schlegel, Schnittbesteck und ein Handschuh. Sie geben Hin­ weise auf Personen, die selbst nicht im Bild erscheinen, und auf Günther Blau als Künstler. Ausgewählt wurden die Objekte mit einer Liebe für das All­ tägliche, aber auch für das Magische und Außergewöhnliche. Es entstan­ den der Wirklichkeit entrückte Dar­ stellungen, die dennoch viele Details zeigen. Oftmals sind eine Präsenta­ tionsfläche und der Hintergrund bildparallel angelegt, und die Gegen­ stände erscheinen wie auf eine braune oder gräuliche Tischplatte abgestellt. Ein Alpenveilchen nimmt neben einem verrosteten Plätteisen Platz, ein Krauthobel gesellt sich zur durchsich­ tigen Flasche mit Verschluss, und ein Werkzeug für den Holzschnitt liegt neben einigen Kaffeebohnen. Mit großer Selbstverständlichkeit sind die Dinge sie selbst. In den 1970er Jahren verhelfen Ausstellungen in Frankfurt dem Wahl-Marburger zu wachsender Bekanntheit. Verglichen wird seine Kunst in den Kommentaren mit den damals wiederent­ deckten Tendenzen des Magischen Realismus und der Neuen Sachlichkeit. Georg Schrimpf, Alexander Kanoldt und Carlo Mense, deren Kunstwerke sich in der Sammlung des Marburger Museums wiederfinden, blieben in den 1920er Jahren der greifbaren Wirklichkeit verpflichtet. Trotz vielfältiger Strömun­ gen einte die verschiedenen Künstler/innen der Kunstrichtung die Nüchternheit und Schärfe ihres Blicks. Wie auch in Blaus Bildern erscheinen die dargestellten Objekte beinahe kühl und unwirklich. In der Rezeption wurde der Maler, der sich male­ risch wenig von zeitgenössischen Strömungen beeinflussen ließ, teils wegen seiner Konsequenz und Entschiedenheit aner­ kannt, von anderen als »unmodern« kritisiert. Die vorwiegend dunklen Hintergründe lassen einen weite­ ren Einfluss auf den Künstler erkennen: die barocke Stillleben­ malerei. Anfang des 17. Jahrhunderts hatte sich das Stillleben in Europa zu einer eigenständigen Gattung der Malerei entwi­ ckelt. Günther Blau, der selbst großes Interesse an der altmeis­ terlichen Maltechnik hatte, verwendete bewusst Stilmittel dieser Kunstepoche. Auffällig ist das sich im Glas spiegelnde Atelier wie in Schlegel mit Becher und Kugel I (1983), das als Zitat früher Meisterwerke verstanden werden kann. Die in den Gemälden auftauchenden Objekte wie Totenschädel, Kerzen, faulendes Obst und verwelkende Blumen verweisen auf den Bildtypus des Vanitas-Stilllebens. In Löwenzahn II (1978), Gelbe Iris II (1971) und Alpenveilchen mit Plätteisen (1984) sind ein­ zelne Blumen und Gewächse zu sehen, die einem Verwelken entgegensteuern oder bereits bräunlich und blattlos erschei­ nen. Anders als in barocken Stillleben entzieht sich Günther Blau jedoch einer religiösen Bedeutungsebene. Das Vergehen der Zeit und der damit präsenter werdende Tod wird in Blaus Stillleben Zifferblatt und Hammer (1989) und Schädel mit Bergfink I (1991) deutlich. Hier hat die Uhr ihre Zeiger verloren – die Zeit bleibt stehen. SI

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