Leseprobe

100 Kastenbild, 1964 ▶ Seite 45 Anhand einiger Tagebucheintragungen möchte ich die Arbeits­ weise meines Mannes – bezogen auf dieses Ölbild – etwas näher betrachten. Nicht bekannt ist mir, ob mein Mann einen Fächerkas­ ten als Vorlage hatte oder sich selbst einen zimmerte, wie er es oft in den späteren Jahren für seine Trompe-l’œil-Bilder tat. Aber bestimmt hat er die einzelnen Gegenstände zumindest auf seinem Maltisch aufgebaut. In dem Kinderführer für das Marburger Universitätsmuseum aus dem Jahr 1981 sagt er: »Für mich ist das Sehen sehr wichtig. Ich habe eine Sammlung vieler kleiner Dinge, Gläser, Schachteln, Puppen, alte Schuhe und vieles mehr, dem wir im täglichen Gebrauch keine Beachtung schenken. Vieles davon habe ich auf dem Flohmarkt erstanden. Von diesen Dingen wähle ich dann für ein Stilleben einzelne Objekte aus, kombiniere sie vor mir und dann werden sie gemalt.« Am 25. 2. 1964 schreibt er nach einem Besuch im Städelmuseum in Frankfurt in sein Tagebuch: »Städel: leicht mutlos vor so viel Meisterschaft: Beckmann Frauenpaar u. Karnevalspaar […]« Nur zwei Tage später hat er schon wieder Mut gefasst. Die Lust zu malen war wohl stärker als alle Zweifel. Am 27. 2. 1964 notiert er: »›Fächerkasten‹ Lutzens Kopf, Eitempera – Öl« Er beginnt seine Arbeit mit dem unteren rechten Fach und hält seinen Arbeitsfortschritt fortwährend in kurzen Einträgen fest: »›Fächer­ kasten‹, Apfelsine, Öl über Eitempera.« Dieses Mal hat er am linken unteren Fach gearbeitet. Ende Februar und Anfang März widmete er seinen Notizen nach mindestens vier ganze Arbeits­ tage diesem Bild. Am 19. 3. 1964 findet sich folgende Eintragung: »Am ›Fächerkasten‹ weiter; Laubbesen hinzu«. Nach einer länge­ ren Pause folgt am 18. 7. 1964 die letzte Eintragung: »Am ›Fächer­ kasten‹ vom Februar weiter« Es fehlt die Erwähnung der Eierscha­ len im unteren Fach rechts. Insgesamt ist festzustellen, dass die Fächer nicht geordnet »abgearbeitet« wurden. Hat es im Vorfeld einen Plan gegeben oder sind die einzelnen Dinge vielleicht spontan hinzugefügt worden? In diesen relativ frühen Jahren ist mein Mann meines Wissens nach noch nicht auf Flohmärkte gegangen, um Objekte zu sammeln, wie in späteren Jahren. Zum einen galt sein Hauptinteresse noch nicht der Stilllebenma­ lerei, und andererseits hatte er auch keine Möglichkeit, »Trödel« aufzubewahren. So sind in dem Fächerkasten vor allem Dinge des alltäglichen Lebens dargestellt, wie eine Zwiebel, Blutwurst, eine Apfelsine, Eierschalen, und auch der Laubbesen gehört dazu, zusätzlich noch Gegenstände aus seinen Malutensilien. Auch der Kin­ derkopf, der aus dem Vorhang hervorlugt, lässt sich aufklären. Es ist der Kopf des jüngeren Bruders seines Patenkindes. Was die Hühnerüberbleibsel betrifft, so haben meinen Mann Schädel und Knochen schon früh interessiert. Alle Zeichen der Ver­ gänglichkeit haben ihn angezogen. Damals rückte auch das geschlach­ tete Huhn in den Mittelpunkt seines Interesses: Ein wenig später, noch im Jahr 1964, malte er das Ölbild Küchenfenster in Cisano mit einem toten Huhn, und nur ein Jahr später sind dann auch mehrere Zeichnungen toter Hühnerkörper entstanden. Weiße Zwiebel I , 1975, Gouache, 28×18 cm (Ausschnitt)

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