Leseprobe
In November 1948 verabschiedete das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR den Erlass, welcher den Russlanddeutschen verbot, an ihren ursprünglichen Wohnort zurückzukehren Aus diesem Grund wurde meine Familie aus der Wolgaregion nach Sibirien ins Altaigebiet deportiert In unserer Familie wurde untereinander deutsch gesprochen Meine russischsprachigen Freundinnen im Alter von fünf bis sechs Jahren, also jünger als ich, wurden früh eingeschult und konnten bereits Märchenbücher lesen Zum Zeitpunkt der Umsiedlung war ich bereits sieben Jahre alt, und ich wartete voller Ungeduld darauf, dass man es auch mir endlich erlauben würde, in die Schule zu gehen Und endlich kam dieser Tag! Die Lehrerin forderte uns auf, ein wenig von uns zu erzählen und uns vorzustellen Sie ermunterte jeden Schüler mit einem zärtlichen Lächeln Dann kam ich an die Reihe Der Gesichtsausdruck der Lehrerin veränderte sich plötzlich Ich fühlte eine eisige Angst aufsteigen, die durch meinen ganzen Körper kroch Ich begann zu stottern, als ich meinen für das russische Ohr ungewohnten Vor- und Nachnamen aussprach: »Gee – twiii – gaaa Liii – bert « »Wie?«, fragte meine Lehrerin nach »Hitler?« Ich brach in Tränen aus Später rief sie mich gelegentlich so: »Geh an die Tafel, Hitler!« Der Schulunterricht wurde für mich zur Qual Viele Jahre später beendete ich erfolgreich die Schule und das Pädagogische Institut und wurde selbst Lehrerin Eines Tages traf ich meine alte Lehrerin dann zufällig auf einer Pädagogik- konferenz Ich erkannte sie sofort wieder, obwohl sie etwas gealtert war, und entschloss mich trotz meiner bitteren Erinnerungen dazu, ihr einen Blumenstrauß zu schenken, den ich in der Pause kaufte Ich bedankte mich bei ihr für all das Wissen, das sie mir vermittelt hatte Sie erkannte mich und gab mir eine Umarmung Tränen rollten aus ihren Augen, sodass auch ich zu weinen be- gann – diesmal vor Glück So saß ich voller Erinnerungen in der Konferenz und träumte davon, ihr vergeben zu können (Diese Geschichte hat ein ausgedachtes versöhnendes Ende, das so nicht stattgefunden hat Hedwig Liebert hätte sich ein Ende in dieser Art gewünscht ) Hedwig Liebert (Usbekistan) wurde 1943 in Barnaul, Sibirien, als Wolgadeutsche geboren Am Anfang des Zweiten Weltkriegs war die Familie von der Stadt Saratow in Russland nach Sibirien deportiert worden und dort ins Lager der »Arbeitsarmee« gezwun- gen worden Nach Stalins Tod wurden Wolgadeutsche offiziell vom Vorwurf der Kollaboration befreit, und die Familie zog nach Kasachstan Nach dem Studium arbeitete Hedwig zuerst als Lehrerin in Kasachstan, seit 1980 arbeitete sie als Lehrerin für Mathematik und Physik in Usbe- kistan Nach der Auflösung der Sowjetunion befürchtete sie ethnisch-religiöse Konflikte, und so verließ sie Usbekistan in den 1990er Jahren und zog mit ihrem Sohn nach Deutschland Hier wurde sie als Spätaussiedlerin aufgenommen und arbeitete 18 Jahre lang in einer Reinigungsfirma Illustriert von Ines Hofmann Die Schule 18 В ноябре 1948 года Президиум Верховного Совета СССР принял указ, запрещающий советским немцам возвращаться к прежнему месту жительства По этой причине моя семья была депортирована с Поволжья в Сибирь (Алтайский край) В нашей семье взрослые и дети говорили друг с другом по-немецки Мои русскоговорящие подружки 5-6 лет, младше меня по возрасту, рано пошли в школу и уже могли читать книжки со сказками На момент переселения мне исполнилось семь лет, и я с нетерпением ждала, когда же мне будет разрешено пойти в школу Наконец-то, этот день наступил! Учительница предложила нам, ученикам, познакомиться и назвать свои имена и фамилии Каждого ученика она подбадривала ласковой улыбкой Подошла моя очередь Учительница внезапно изменилась в лице Я почувствовала леденящий страх, расползающийся по всему телу Произнося вслух свои немецкие, непривычные для русского языка имя и фамилию, я начала заикаться: »Гее-твии-гаа Лии-беерт « »Как?!« - переспросила меня учительница: »Гитлер?« Я заплакала Потом она меня так часто называла: »Иди к доске, Гитлер!« Учёба в школе превратилась для меня в мучение Прошло много лет, я закончила успешно школу, педагогический институт и сама стала учителем Мы встретились с ней случайно на педагогической конференции Я сразу узнала ее и решила, несмотря на мои горькие воспоминания, подарить ей букет цветов, который я купила во время перерыва Я сердечно поблагодарила её за знания, которые она мне дала Она узнала меня и обняла Из глаз её покатились слёзы, и я тоже заплакала Теперь уже от радости О таком счастливом конце этой истории я мечтала, сидя на конференции Но к сожалению, этого не произошло (У этой истории выдуманный примиряющий финал, который в реальности не случился Но Хедвиг Либерт пожелала для себя такой конец истории ) Школа
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