Leseprobe

38 Dieses Nebeneinander gesellschaftlicher und politischer Extreme erleben wir – in einem gewissen Grad – heute wieder. Man ist gefragt, grundsätz- lich Stellung zu beziehen. Mich interessiert als Kulturpolitikerin, inwie- weit ich Position beziehen will, darf oder muss und wo die Grenzen dieser Positionierung verlaufen, da diese das Neutralitätsgebot von Amtsträ­ gerInnen berührt. Dazu möchte ich Ihnen zunächst kurz rechtliche Aspekte aufzeigen, die ich mir bewusst machen musste. Denn es besteht rechtlich ein Unterschied darin, ob ich als Politikerin und Bürgerin für eine bestimmte Sache kämpfe oder ob ich als gewählte Kulturbürgermeisterin, als AmtsträgerInnen in der Kommunalpolitik für eine Sache spreche. Poli- tische Äußerungen von Amtsträgern unterliegen nach dem Gesetz dem sogenannten Neutralitätsgebot. Der Hintergrund dieses Gebotes wird so beschrieben: »In der Demokratie des Grundgesetzes muss sich die politische Willensbildung von unten nach oben, also vom Volk zu den Staatsorganen vollziehen. Greifen hier Hoheitsträger, denen ein gewisser ›Vertrauensvorschuss‹ in der Bevöl- kerung zugesprochen wird, mit der Autorität ihres Amtes und mit staat- lichen Ressourcen ein, besteht die Gefahr einer Umkehrung des Willens- bildungsprozesses. Ihren Äußerungen werden daher rechtliche Grenzen gesetzt.« 2 Hier wird also das Recht auf Meinungsfreiheit (GG Art 5) in Schranken verwiesen, da ein weiterer Grundrechtsartikel kollidiert: ämlich das Recht der Parteien, gleichberechtigt an der politischen Wil- lensbildung teilzunehmen (GG Art 21, Abs. 1). Hoheitsträger dürfen sich demnach nicht beliebig äußern, zum Beispiel in Bezug auf (gegnerische) politische Parteien. Auch muss eine Auseinandersetzung »sachlich kor- rekt« und »nicht diffamierend« geschehen. Ich möchte Ihnen folgend ein Beispiel aus der jüngsten Rechtsprechung nennen, bevor ich zu den konkreten Leipziger Beispielen übergehe. Hier also zunächst der Fall »Lichter aus!« in Düsseldorf. Im Januar 2015 hatte der Düsseldorfer Oberbürgermeister auf eine Versammlung der Vereini- gung »Dugida – Düsseldorfer gegen die Islamisierung des Abendlandes« mit einem Aufruf auf der Internetseite der Stadt reagiert. Dort hatte er die BürgerInnen aufgefordert, während der Versammlung die Beleuchtung an ihren Häusern auszuschalten. Auch an öffentlichen Gebäuden ließ der Oberbürgermeister die Beleuchtung ausschalten. In der Erklärung hieß es unter anderem: »Lichter aus! Düsseldorf setzt Zeichen gegen Intoleranz [...] Oberbürgermeister Thomas Geisel: ›Das ist das richtige Signal, dass in Düsseldorf kein Platz fur das Schüren dumpfer Ängste und Ressentiments ist. Düsseldorf ist eine weltoffene Stadt, in der jeder willkommen ist.« Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 13. September 2017 die Rechtswidrigkeit von Äußerungen des Düsseldorfer Oberbürgermeisters festgestellt. Der Oberbürgermeister habe zwar nicht das Neutralitatsgebot verletzt, das dem Schutz der Chancengleichheit politischer Parteien diene; denn Dugida sei keine Partei. Verletzt sei aber das Sachlichkeits- gebot, das aus dem Rechtsstaats- und dem Demokratieprinzip herzu- leiten sei. Der Aufruf, die Lichter zu löschen, sei keine sachlich vorgetra- gene Kritik. So verlasse der Oberbürgermeister die Ebene eines rationa- len und sachlichen Diskurses, ohne fur eine weitere diskursive Ausein-

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1