Leseprobe

71 Gedanke macht ein figürliches Formenprogramm schwer integrierbar und unterstützt das hohe Aufkommen abstrakter Formen im Bauhauskontext. Auch die KünstlerInenn der DDR, die sich auf den Bauhaus-Spuren beweg- ten, folgten diesem Ansatz, sobald Architektur und Kulturpolitik es zuließen. So waren nach dem Zweiten Weltkrieg architektonische, ökonomische und gesellschaftliche Aufbauleistungen zu unternehmen, die auch ideologi- sche Probleme beinhalteten. Der Aufbau der neuen Lebensumwelt war demnach eine ebenso heterogene Aufgabe wie die Lösung, die er erfor- derte. Die Ideen des 1919 gegründeten Bauhauses boten hierfür einen möglichen Ansatz, denn sie beinhalteten ein ganzheitliches Konzept der ästhetischen Stadtgestaltung und der Zugänglichkeit von Kunst für jeden – ob KünstlerIn oder BetrachterIn. Auf der Suche nach dem richtigen Stil entspann sich an der Vorgabe des Sozialistischen Realismus, die den systemgerechten Menschen formen sollte, und der ästhetischen Auf- fassung eines Zusammenwirkens von Bau- und bildender Kunst 1959 die emotional stark aufgeladene Formalismusdebatte. 21 Die avantgardisti- sche Kunst, die dem neuen formreduzierten Bauen viel zuträglicher war, rechnete man dem westlichen kapitalistischen Ausland zu und boykot- tierte daraufhin ihre Anwendung. 22 Die nachstehenden Beispiele komplex geplanter Standorte betrachten die Bauhausspuren in Dresden, die neben künstlerischen auch in Wohnsied- lungsprojekten wie beispielsweise der Siemensstadt 23 oder Spandau- Haselhorst 24 ihr Vorbild finden. Im hiesigen Rahmen kann jedoch nicht tiefer auf Beispiele eingegangen werden, weshalb auf weiterführende Betrachtungen an anderer Stelle oder vor Ort verwiesen wird. Dresdner Beispiele Am Ensemble des Dresdner Altmarkts 25 (Bauzeit 1953 bis 1962) war die Anwendung avantgardistischer Formensprache und der Einheit von Archi- tektur und Kunst noch nicht möglich. Die Entscheidung für traditions­ bewusstes Bauen war getroffen, und so trug das Ensemble im spöttisch sogenannten »Zuckerbäckerstil« die barocke Formensprache in sich und verzerrte die ornamentreiche Formensprache disproportional auf die Größe von langen mehrgeschossigen Wohnriegeln. Dennoch bildet hier die Ausgestaltung des Areals durch eine Reihe junger KünstlerInnen in Bildhauer- und Mosaik-Arbeiten an den Wänden eine frühe Referenz für die künstlerische Stadtgestaltung. Die inhaltliche »sozialistische Persön- lichkeitsentwicklung« wurde hier allerdings noch nicht versucht. Sich aus finanziellen und ideologischen Gründen von dieser traditionsverbundenen Bauweise zu verabschieden, bedeutete neben kostengünstigerem Plat- tenbau auch ein Umdenken bezüglich des Verhältnisses von Architektur und Kunstwerk. 1 Balkongitter im »Zuckerbäckerstil« am Altmarkt, Dresden 2021, Foto: Sylvia Lemke

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