Leseprobe

82 an. Von 2004 bis 2006 fotografierte ich die Hörsaal- und Seminargebäude, den Innenhof und auch die Mensa vor der Sanierung. Mir gefielen die Funk- tionalität der Bauten und die entstandene Hofsituation mitten in der Stadt. Seminarräume konnten durch Falttüren erweitert oder abgetrennt werden. Von einem Hörsaal konnte man in den nächsten wechseln und die Mensa auf zwei Etagen mit Südfenstern und Terrasse genießen. Auch die Kunst am Bau erschien mir durch die Sozialisation in der DDR und nach der sogenannten Wende als selbstverständlich und sinnvoll mit der Architektur zusammengehörend. Erst mit dem bewussten Hinschauen und Fotografieren während meines Studiums wurde ich auf Verluste aufmerk- sam und versuchte, auch Bilder zu finden, die noch eine Spur zeigen von etwas, was einmal da oder dort gewesen war. Wenn ich heute Kunst am Bau und gestalteten Stadtraum anschaue, fehlt mir von den Realisateuren der Blick fürs Ganze oder auch der menschliche Maßstab. Da steht die Plastik nur noch als Dekoration am Rand, statt an prominenter Stelle eines Platzes. Fassadengestaltung reduziert sich scheinbar nur noch auf Farb- flächen, die selten in einem harmonischen Verhältnis zur Umwelt stehen. Was hat das Ganze jetzt mit Bauhaus zu tun? Auch zur Beantwortung einer solchen Frage möchte ich mich daran erinnern, wo und wie ich aufge- wachsen bin. Das Bewusstsein für das Bauhaus und dessen Ansätze bzw. die Moderne und deren ästhetische und politische Haltung war bei mir nicht speziell ausgeprägt, aber die Formen sprachen mich an. Das gab einem das Gefühl, sich wie ein Mensch zu fühlen, die Proportionen schie- nen einfach zu stimmen. Erst 2005 blieb ich einen Tag länger in Dessau, als wir als FotostudentInnen ein Architekturprojekt mit der Stiftung Bau- haus fotografierten, und schaute mir die unterdessen zu »Klassikern« gewordenen Bauten an. 2015, bevor ich aus Leipzig wegzog, habe ich ausführlich das alte Hauptpostamt am Augustusplatz fotografiert und einen Kurzfilm darin gedreht. Dieser Film mit dem Titel »Post« lief dann 2015 in der offiziellen Auswahl des Leipziger Dokfilmfestivals. Die Schal- terhalle kannte ich noch als Kunde, und dass dieser große Komplex so lange leer stand, hat es mir ermöglicht, meinen Blick auch dort zu üben. 4 | 5 In der Einzelausstellung in der galerie archiv massiv zum Herbstrundgang der Baumwollspinnerei 2015 kamen viele Menschen zu mir und erzählten mir ihre Erlebnisse, zum Beispiel, dass sie vor 1989 bis zu sechs Stunden auf einen Telefonanruf ins Ausland hatten warten müssen. Kurt Nowotny, eigentlich kein Bauhaus-Schüler, entwarf direkt für das Post- ministerium viele technische Bauten, so auch die Fernseh- und UKW- Türme auf dem Kulpenberg/Kyffhäuser und in Dresden-Wachwitz. Die in der DDR zumindest von Formgestaltern und Architekten versuchte Ein- heit von Kunst und Architektur findet sich am Hauptpostamt in schöner Zurückhaltung wieder. Das Haus selbst ist ein künstlerisches Werk. Zwei mir bekannte Wandbilder von Bert Heller im Sozialistischen Realismus, dafür Muster im Steinfußboden, hochwertiges Parkett, schicke Typo­ grafie an den Türen, Klinken von Wolfgang Dyroff, spezielle Möbeleinbau­

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