Leseprobe
112 dominanter Akteur innerhalb der Weimarer Erinnerungslandschaft das offizielle Bild der Klassikerstadt nach innen und außen beherrschten. 6 Warum kam es überhaupt zu einer wechselhaften Rezeptionsgeschichte des Bauhauses in Weimar? Wie vor einiger Zeit von Sigrid Hofer gezeigt, be mühte man sich während der ersten Nachkriegsjahre auch in der Klassi- kerstadt, an das Erbe des Bauhauses anzuknüpfen. 7 Aufgrund politisch- ideologischer Richtungswechsel innerhalb der SED und der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland ab den frühen 1950er Jahren geriet das Bauhaus jedoch ebenso wie andere Strömungen der Moderne wäh- rend des sogenannten Formalismusstreits in den Verdacht, antihuma nistischen, kunstfeindlichen, kosmopolitischen und antivolkstümlichen Tendenzen nahezustehen. Verstärkt wurden die Vorbehalte durch kon- krete politische Bedenken (unter anderem die Emigration zahlreicher Angehöriger des Bauhauses in die USA, die politische Nähe zur SPD, Streitigkeiten über die Bewertung der Direktoren Walter Gropius und Hannes Meyer) sowie gegenläufige kunsttheoretische Prämissen (Prä- ferenz für einen monumentalen Realismus gegenüber der Abstraktion, auch in der Architektur). Angesichts dieser kulturpolitischen und kunst- programmatischen Großwetterlage in der DDR war es bis in die späten 1950er Jahre und darüber hinaus nur schwer möglich, offiziell eine posi- tive Haltung gegenüber dem Bauhaus als Schule und ›Stil‹ einzunehmen. »Pflege der nachklassischen Traditionen Weimars«: Kunstsammlungen, Hochschule und die verbindende Frage nach dem Erbe Mit einer Empfehlung zur »Pflege der nachklassischen Traditionen in Wei mar« wandte sich Konrad Werner Schulze, Inhaber des Lehrstuhls für Baugeschichte an der HAB, im Jahr 1962 an den Rat der Stadt Weimar. Man könne, so sein dringender Appell, nicht tatenlos zusehen, wie sich westdeutsche Institutionen »unberechtigterweise« um die Deutungs- hoheit der Moderne in Weimar bemühen würden. 8 Im Blick hatte Schulze vor allem das 1960 von Hans Maria Wingler gegründete Bauhaus-Archiv Darmstadt (Abb. 1) sowie die 1959 von Herta Hesse-Frielinghaus ins Leben gerufene Henry-van-de-Velde-Gesellschaft mit Sitz in Hagen. Dieser unzulässigen Vereinnahmung, so Schulze, wolle die HAB durch eine Wiederherstellung des Hauses Am Horn, durch die Instandsetzung der Gebäude von Van de Velde und durch die Unterstützung der Samm- lung »kunsthandwerkliche[r] Gegenstände und Möbel der Weimarer Pro- duktion« im Stadtmuseum ein eigenes Engagement entgegenstellen. Eine interne Kommission der HAB solle sich mit »Fragen der Hochschul- geschichte und insbesondere des Bauhauses« auseinandersetzen und weitere Empfehlungen für die kommunale Kulturpolitik entwickeln. 9 In den Quellen des Hochschularchivs zu Weimar lassen sich keine Ergebnisse dieses Bemühens auffinden. Dabei war die 1962 von Seiten der HAB vor- getragene Forderung nach einer Auseinandersetzung mit den Traditionen der Hochschule, insbesondere mit Van de Velde und dem Bauhaus, nicht
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