Leseprobe
42 tung erfuhr der Platz mit der Errichtung der Petrikirche von 1885 bis 1888. Schon die ersten Überlegungen zu diesem Standort hatten jedoch Widerstände hervorge- rufen.17 Erst 1883 zeigte der Rat der Stadt Entgegen- kommen und überließ durch eine Schenkung der Kirch- gemeinde eine Fläche von 1 200 Quadratmetern für den Bau.Das hatte allerdings eine Kehrseite: »Statutarisch« wurde durch den Rat »bestimmt, daß eine noch weitere Bebauung dieses Platzes ausgeschlossen sein soll«.18 Die Bedeutung des Baus der Petrikirche reichte jedoch weiter. Zum ersten Mal seit der Errichtung der Neuen Johanniskirche in der Mitte des 18. Jahrhunderts war in Chemnitz wieder ein Sakralbau entstanden, dem in den nächsten Jahren weitere folgen sollten, darunter für die Katholische Kirche und die Israelitische Religionsge- meinde.Und: Sie entwickelte sich unter Leitung des Kan- tors Franz Mayerhoff zu einem Ort nicht nur für Kirchen- musik, sondern auch für die Pflege der Vokalsinfonik.19 Zwei Jahrzehnte nach der Kirchenweihe erhielt die Nordseite des Neustädter Marktes ihren Abschluss durch die Aufstellung der Schilling’schen Figuren. Sie bildeten sozusagen den »Übergang« zur Königstraße. Die Gruppe aus Sandstein hatte nur wenige Jahre in Dresden den Treppenaufgang zur Brühlschen Terrasse geziert und musste bereits 1897 nach Feuchtluftschä- den durch Bronzegüsse ersetzt werden. Da sie im Rah- men eines Kunstfonds aus Steuermitteln finanziert wor- den waren, »entschloss sich [die sächsische Regie- rung] [...] die Figuren Schillings im Jahr 1898 der Stadt Chemnitz zur freien Verwendung zu übergeben«.20 Nach einigen Jahren der Einlagerung fanden sie dann – wie Tilo Richter zunächst untertreibend schrieb – »sinnvolle Verwendung«21 beim Abschluss der Neube- bauung des Neustädter Marktes.Diese »Untertreibung« hob er mit seiner dann folgenden schönen Beschrei- bung des Standorts der Gruppe, die halbkreisförmig in eine Brunnenanlage eingebunden war, und dessen stadtgestalterischer Bedeutung jedoch wieder auf.22 Tilo Richter würdigte auch die damit verbundene Leistung des Stadtbaurats: »So fügten sich die [...] Fi guren trefflich in die neue Platzkonzeption von Richard Möbius ein und der Brunnen gereichte dem neuen, in sich geschlossenen Platz zum besonderen Schmuck. Für Möbius schloss sich in gewisser Weise ein Kreis, da er die Neukonzeption der Brühlschen Terrasse bereits als 1. Stadtbaumeister Dresdens [...] verfolgt hatte. Ob und inwieweit es seinem Einfluss in jener Dresdner Amtszeit zu verdanken ist, dass die [...] Figuren nach Chemnitz kamen, bleibt allerdings offen.«23 Die Figurengruppe war wieder Teil eines städtebau- lichen Ensembles, eines architektonischen Gesamt- kunstwerks geworden. Ebenso wie in Dresden verblie- ben die Figuren auch in Chemnitz nur eine kurze Zeit- spanne an ihrem Standort – knapp zwei Jahrzehnte – und mussten dem Neubau des Chemnitzer Hofes wei- chen. 1936 fanden sie ihren Platz in den neu gestalteten Schloßteich-Anlagen. Bemühungen seit den 1990er Jahren, sie wennschon nicht an ihren alten Standort, aber doch an den Theaterplatz zurückzubringen und damit den Einklang mit Kirche, Museum und Theater wiederherzustellen, scheiterten bislang. IV. Die Betrachtung der Schilling’schen Figuren haben wir hier eingeschoben,um uns nun ohne weitere Unterbre- chung den Planungen und dem Bau für die beiden wei- teren »Hauptgebäude« des Platzes,Museum und Thea- ter, zuwenden zu können. Im Rückblick bezeichnete Stadtbaurat Eckhardt 1926 diesen Prozess als ein »gro- ßes Schaffensfeld,wie es wohl selten einer Bauverwal- tung beschieden wird«,24 und stellte damit die Beson- derheit des Vorhabens heraus. Für Chemnitz gab es vor 1945 nur noch wenige vergleichbare stadtgestalteri- sche Projekte,wie den Bau des Neuen Rathauses – par- allel zur Errichtung von Museum und Theater – oder die Gestaltung des Umfelds des Alten Johannisfriedhofs mit Realgymnasium und Industrieschule. Nach der Bestätigung des Vorschlags Heinrich Becks zum Museumsbau durch die Stadtverordneten erfolgte die Ausschreibung für einen Wettbewerb, um Bauvor- schläge von Architekten zu erhalten; im Oktober 1899 wurden die Preisträger bekanntgegeben. Keiner der Vorschläge wurde umgesetzt.Betrachtet man sie25 und vergleicht sie mit den dann realisierten Vorhaben, so wird der gravierende Unterschied deutlich. Den Einrei- chern muss man allerdings nachsehen, dass die Aus- schreibung lediglich den Bau eines solitär stehenden Gebäudes zum Inhalt hatte. Richard Möbius oblagen nun seit 1900 Planung und Bau. Eigentlich von Anfang an stand nur der Neustädter Markt wegen seiner Lage, seiner Größe und mit der Maßgabe, als »Eintrittstor« vom Hauptbahnhof in das Stadtzentrum zu wirken, als geeigneter Ort zur Verfü- gung.26 Bereits 1899 hatte sich der Bauausschuss in 5 Schützenscheibe auf das Jahr 1905, das im Zeichen des Beginns der Umbaumaßnahmen des Neustädter Marktes stand
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