Leseprobe

7733 Einleitung Entstehung und Entwicklung von Parkanlagen und Grün- flächen in urbanen Räumen sind keine Erfindung des 19. oder gar des 20. Jahrhunderts. Dass es gleichwohl in weiten Teilen Europas seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch jenseits von Metropolen in einer Vielzahl von größeren wie mittelgroßen Städten zur planmäßigen Einrichtung von »Stadtgrün« gekommen ist, verdankt sich vorrangig dem Streben von Bürger- schaft und Stadtverwaltung nach einer Verbesserung der städtischen Lebensbedingungen. Dies galt natur- gemäß und im besonderen Maße auch für eine sich in dieser Zeit so rasch entwickelnde Stadt wie Chemnitz. Um diesen sich in der Stadt vollziehenden Prozess ein- ordnen und bewerten zu können, muss dieser in den Kontext der Zeit mit ihren gerade auf dem Gebiet der Stadtentwicklung bestehenden besonderen Notwen- digkeiten eingeordnet werden. Hierzu zählt auch die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Anlage städtischer Grünflächen in einer Industriestadt wie Chemnitz. In seiner erstmalig 2013 erschienenen, beachtens- werten Studie Metropolen der Moderne. Eine europäi­ sche Stadtgeschichte seit 1850 verweist der Gießener Historiker Friedrich Lenger auf die im Wesentlichen um die Senkung »ökologischer, hygienischer und medizi­ nischer Risiken« kreisenden Bemühungen der Stadt- verwaltungen, die seit dieser Zeit zur vermehrten Ge­ staltung von Grünflächen und Parks führten.1 Natürlich waren derartige Anlagen im ausgehenden 19. Jahrhun- dert längst keine fundamentalen Neuschöpfungen engagierter Stadtplaner mehr. Insbesondere seit der Renaissance waren in Europa vermehrt Gärten und Parks entstanden, die den Repräsentations- und Zer- streuungsbedürfnissen von Fürsten bzw. Adligen ent- sprangen und die zudem für die Öffentlichkeit häufig zugänglich gewesen sind.2 Gleichwohl standen Parks und Grünflächen in den sich teils rasant vergrößernden und verdichtenden Städten des ausgehenden 19. Jahr- hunderts in Konkurrenz zu alternativen Nutzungskon- zepten. Und hierzu zählte nicht allein das auch heute insbesondere in größeren Ballungsräumen nur zu bekannte Problem des Wohnraummangels und des hie- raus resultierenden Bedarfs nach Wohnbauten mit der Folge einer zunehmenden Verdichtung urbaner Räume.3 Vielmehr war und ist diese Frage mit dem vorrangigen Nutzungskonzept, dem jeweiligen Stadttypus verbun- den. So unterschied sich auch in unserem Untersu- chungszeitraum im Hinblick auf die Entwicklung urba- ner Grünanlagen eine Kur- bzw. Residenzstadt – wie Bad Elster oder Dresden – erheblich von einer Industrie- stadt – wie Chemnitz oder Zwickau – oder einer Fes- tungs- bzw. Garnisonsstadt wie das lothringische Metz bzw. das wesentliche kleinere, ebenfalls im Reichsland Elsaß-Lothringen gelegene Mörchingen.4 Kur- bzw. Residenzstädte waren in Bezug auf Art, Umfang und Genese ihrer Grünanlagen im Vergleich zu Städten mit anderen gewachsenen Strukturen klar im Vorteil. Sie verfügten über teils bereits seit Jahrhunderten existie- rende, in aller Regel permanent sorgsam gepflegte und dem aktuellen ästhetischen Empfinden angepasste Grünanlagen, die behutsam in das jeweilige Stadtbild eingefügt waren und die sich keiner Konkurrenzsitua- tion mit alternativen Nutzungskonzeptionen ausgesetzt sahen, ja im Falle von Kurstädten sogar eine grund­ legende Voraussetzung des Kurbetriebs und damit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dieser Kommunen darstellten. Pückler goes America Nachdem in den Jahrhunderten zuvor aus Italien bzw. Frankreich kommende Gestaltungsprinzipien die euro- päische Gartenarchitektur geprägt hatten, drückte seit dem 18. Jahrhundert der englische Landschaftsgarten diesen Prinzipien mehr und mehr seinen Stempel auf.5 Hatten bereits die Gärten und Parks des Barock ästhe- tische mit repräsentativen Funktionen verbunden, also dem ästhetischen Empfinden seines adligen Eigentü- mers geschmeichelt und zugleich sein politisches Gewicht bzw. seinen Wohlstand unterstrichen, band nun der englische Landschaftsgarten auch ökonomi- sche und aufklärerische Aspekte in die Gartenbaukunst und Landschaftsarchitektur mit ein. Die umgebende 1 Garten am Siegesdenkmal in der Chemnitzer Theaterstraße, um 1890

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