Leseprobe
113377 Schule Direktor Lehrer der Reformklasse [Zahl der teilge- nommenen Schüler bzw. Schülerinnen] Vier Versuchsklassen in der einfachen Volksschule Körnerschule Knaben Robert Osswald Bernhardt Cristian Friedrich Martin [33] Josephinenschule Knaben Emil Albin Tippmann Richard Theodor Grünert [44] Luisenschule Knaben Ernst Paul Wilsdorf Max Richard Ittner [38] Dittesschule Knaben Karl Arthur Wünsche Gustav Artur Terpitz [44] Zwei Versuchsklassen in der mittleren Volksschule Heinrich-Beck- Schule Mädchen Ernst Woldemar Laube Johannes Gehre [27] Lessingschule Mädchen Richard August Oehmichen Karl Otto Fischer [27] Eine Versuchsklasse in der höheren Volksschule Höhere Volksschule Knaben Max Emil Beger Gotthelf Otto Günther [34] Als Ostern 1912 die Versuchsklassenarbeit mit ins- gesamt 247 ABC-Schützen, davon 54 Schülerinnen und 193 Schüler, in Chemnitz begann, konnte der großen Nachfrage gar nicht entsprochen werden. Beispiels- weise meldeten interessierte Eltern in der Höheren Volksschule für Knaben 49 Schulanfänger an. Davon konnten dann nur 34 Schüler berücksichtigt werden. Im Dezember 1912 hatten die betreffenden Schulleiter erstmals über die Zwischenergebnisse der Versuchsklas- senarbeit zu berichten. Dabei konnten bereits viele Vor- behalte in der Öffentlichkeit zerstreut werden, dass es sich bei den Versuchsklassen um »eine Art Spielschule für körperlich und geistig etwas zurückgebliebene Kinder« handeln würde.27 Exemplarisch soll das hier aus zwei Statements verdeutlicht werden: Direktor Laube konsta- tierte für die Versuchsklasse an seiner Heinrich-Beck- Schule für Mädchen: »In der Klasse findet man Frohsinn, Arbeitsfreude und munteres Treiben. Die Schülerinnen zeigen sich in Schärfe und Schnelligkeit der Auffassung, in Gewandtheit des sprachlichen Ausdruckes gut geför- dert und an selbstständiges und selbsttätiges Arbeiten gewöhnt. Obgleich der auf Entbindung der freigestalten- den Kräfte des Kindes eingestellte Unterricht zumgrößten Teil in freieren Formen verläuft,herrscht doch in der Klasse durchaus Zucht und Ordnung einer Normalklasse.«28 Und Direktor Wilsdorf stellte für die Versuchsklasse an seiner Luisenschule für Knaben heraus: »Fast erstaunlich ist die Leichtigkeit,mit der Neues aufgefasst wird und zur Aneignung kommt, mit der beispielsweise Buchstabenformen aufgefasst und dargestellt, wie schnell lesetechnische Schwierigkeiten erkannt und überwunden werden.«29 Im Rahmen der Schulausstellung zur 17. Hauptver- sammlung des SLV wurden im September/Oktober 1913 überwiegend Zwischenergebnisse der Versuchsklas- senarbeit anhand von Schülerarbeiten aus demGesamt- unterricht, der »seinem Wesen nach heimatlicher An schauungsunterricht« war,30 präsentiert und zur öffent- lichen Diskussion gestellt. Nach Absolvierung des Ver- suchslehrplans konnte allen Reformelementarklassen bescheinigt werden, dass keine Nachteile zum Normal- lehrplan registriert und vor allem im Anschauungsunter- richt sowie im Sprachverhalten der Schülerinnen und Schüler zumeist deutlich bessere Ergebnisse erbracht wurden. Weil die Kinder insgesamt müheloser und mit mehr Freude lernten, galt die zweijährige Reformklas- senzeit »als vollständig geglückt«, wie es die Sächsi sche Schulzeitung (Nr.11/1914, S.195) bilanzierte. Der Versuchsklassenlehrer Karl Fischer stellte daraufhin den Antrag an den CLV, den Lehrplan der Versuchsklas- sen auf alle ersten und zweiten Chemnitzer Schuljahre anzuwenden. Der Lehrerverein befürwortete diese Ini- tiative und sowohl die Direktorenkonferenz als auch der Bezirksschulinspektor Richter genehmigten sie.31 Nach nur wenigen Monaten kam die seit Ostern 1914 in Chemnitz praktizierte flächendeckende Rezeption reformpädagogischer Elementarunterrichtsvorstellun- gen an allen 50 Volksschulen als ein bis dahin national wie international gefeiertes Pilotprojekt im Zuge des Ersten Weltkriegs rasch wieder zum Erliegen. Nach den Sommerferien 1914 galt erneut der alte Lehrplan. Am 2. Januar 1912 veröffentlichte der CLV ein Anmel- deformular für interessierte Eltern, in dem es unter anderem heißt: »Die Chemnitzer Elementarklassen haben dank der ausgezeichneten Methode immer Gutes und Hervorragendes geleistet. Trotzdem ist die Chemnitzer Lehrerschaft bemüht, neue Wege zu su chen, die den Übergang vom Spiel zur Arbeit, vom Haus zur Schule erleichtern. Vor allen Dingen soll, gestützt auf die Erfahrung in anderen Städten, das Lesen, Rech- nen und Schreiben weiter hinausgeschoben werden. Die Vorbereitungen zu diesen Fertigkeiten sollen an schließen an die Tätigkeiten, die die Kinder bisher daheim getrieben haben und die dem Interesse der Kleinen am nächsten liegen: Formen, malendes Zeich- nen und andere Arten der Handbetätigung.Mit Ende des 2. Schuljahres wird sicher das Ziel der Normalklassen erreicht werden.«24 Nachdem der CLV verschiedene Artikel zur Aufklä- rungsarbeit für das Versuchsklassenvorhaben in der regionalen Tagespresse publiziert hatte,organisierte er für interessierte Eltern am Abend des 16. Januar 1912 eine öffentliche Versammlung im Gasthaus Zur Linde. Woldemar Laube sprach zur aktuellen Schulreform im Allgemeinen, Karl Fischer präsentierte ein reformpäda- gogisches Unterrichtsbeispiel und Johannes Gehre zeigte Lichtbilder aus dem Versuchsunterricht. Ab dem 18. Januar 1912 trafen sich die involvierten Versuchs- klassenlehrer und ihre Direktoren zweimal monatlich, um organisatorische Fragen zu klären.So verlangte zum Beispiel die Versuchsarbeit eine besondere Ausstat- tung des Klassenzimmers.25 Für die Chemnitzer Reform- elementarklassenarbeit wurden auch die umfangrei- chen Erfahrungswerte rezipiert, die Fritz Zill, Volks- schullehrer an der Bernsdorfer Schule,mit seinem refor- mierten Anschauungsunterricht in allen Jahrgangsstu- fen erzielte und darüber umfänglich in der pädagogi- schen Fachpresse publizierte.26
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