Leseprobe

98 Das Bild ist ein sprechendes Beispiel für Peiffer Watenphuls neuen Ansatz, seine Mittel experimentell zu handhaben. Hier wagte der Maler ein ungewöhnliches Non-Finito , ein Offenlassen und zugleich eine Verunklärung weiter Partien, wie sie frühere Gemälde nicht erkennen lassen. Peiffer Watenphuls malerische Bemühung während seiner Jahre in Venedig war grundsätzlich gegen jegliche »Lagunen-Romantik«, jede Form von stimmungshafter Verklärung gerichtet. Die Evokation von Melancholie und Morbidezza war nie das vorrangige Ziel. Dennoch spielen die Kategorien von Farbe und Licht für den Ausdruck des Hinter- gründig-Atmosphärischen in diesen Bildern eine prägende Rolle. Wie der Maler selbst betonte, ist Venedig die Stadt des Lichts, durch welches es Gestalt nimmt, aber zugleich »[...] die dunkelste und schwärzeste Stadt [...] eine Komposition aus Schwarz-Weiß, ohne jede Farbigkeit.«10 Als besonderes Phänomen der Venedig-Bilder wurde überzeugend herausgestellt, dass »das Beleuchtungslicht der topographischen Szene [...] sich zum Farblicht wandelt [...] denn es sind die Farben selbst, die hier ohne äußere Lichtquelle aus sich heraus feierlich leuchten.«11 Die für diesen Künstler so charakteristische Vorliebe für das Ausreizen ungewöhnlicher Materialien und damit einhergehender Strategien im Malprozess kündigt sich bereits in Zeichnungen der 1930er Jahre an.12 Damals begegnet zum ersten Mal das Phänomen einer linearen Belebung von Leerflächen wie Himmel oder Meer. Das nur scheinbar absichtslos wiederholte Gestrichel, die Kritzeleien, Punkte oder Tuschespritzer, welche sich zuweilen schimmelartig über die Fläche breiten, wirken wie somnambule »Bewegungsspuren der Hand«.13 Hier gewinnt jenes Kunstmittel Peiffer Watenphuls Gestalt, das dann seit der Zeit um 1950 in sämtlichen bildnerischen Gattungen des Künstlers auftritt. Ähnliches gewahren wir bei Zoran Mušič (1909–2005), doch ist der stärker orna- mentale Zug unübersehbar, welcher bei den die Bildgründe belebenden Grafismen in Mušičs Gemälden wie Arbeiten auf Papier seit den späten 1940er Jahren unmittelbar an Byzantinisches denken lässt und zuweilen die Wirkung kostbarer Materialien evoziert. Elemente des Zeichnerischen sind es, in deren Zusammenwirken mit der Farbe sich die unverwechselbare Individualität der späteren Gemälde des deutschen Künstlers erweist. Sicherlich eines der zentralen Erlebnisse für den jungen Maler war seine Entdeckung der »Kritzeleien« Paul Klees, die er 1949 kommentierte: »Als ich als ganz junger Student im Jahre 1915 eine Ausstellung der Kunsthandlung Goltz besuchte, fielen mir dort Zeich­ nungen auf, wie ich sie bisher nie im Leben gesehen hatte. Sie sahen von weitem aus wie kindliche Kritzeleien oder Muster, wie man sie oft auf Wänden und Martern von Laien hingesetzt sieht. Die kleinen Zeichnun- gen faszinierten mich derartig, dass ich fast jeden Tag in die Galerie Goltz ging und wie gebannt vor ihnen stand. Es war dies meine erste Begegnung mit dem Werk von Paul Klee.«14 Während seiner Zeit am Bauhaus ab 1921 besuchte Peiffer Watenphul den Künstler immer wieder. Auch an diese Begegnungen erinnerte er sich später, vielleicht nicht zufällig während seiner Zeit in Venedig, als er selbst seine Kunst in die Richtung jener neuen, »umfangreichen geistigen Welt« vertiefen wollte. almost transparent film on the canvas. In the foreground to the right, parts of the loggia have been crudely contoured with a thick anthracite-­ coloured pen, as if the artist wanted to deliberately render the basic structures visible, as in a preliminary drawing. The consistently rather thin and dry paint has been applied to the respective fields with sturdy brushstrokes. The zone above the roof of the Ca’ d’Oro remains vague, in keeping ultimately with the whole of the background. As a result, it is hard to make out what the almost abstract looking cloud-like formations in brown and green are intended to suggest. Most likely, the blue above this may be interpreted as the sky. Finally the Gothic palace façade, although being in focus, seems to be overlaid by a fine-grained web made up of scratched white lines applied in different directions and lengths. As a result, the building on the other bank of the Canal Grande appears not only spatially removed, but also seems enveloped in an aura of strangely spiritual magic. The work is a telling example of Peiffer Watenphul’s new approach, his experimental handing of his tools. Here the painter dared to present an unusual non-finito , to leave much open-ended and at the same time obscure other parts. Such things are not to be seen in earlier paintings. Peiffer Watenphul’s painterly endeavours during his years in Venice were fundamentally opposed to any kind of “lagoon romanticism”, or atmos- pheric glorification. His primary objective was to avoid evoking any melancholy and morbidezza. Yet the categories of colour and light play a major role in the subtle-atmospheric expressiveness of these pictures. As the artist himself emphasised, “Venice is the city of light, through which it takes on form, but at the same time ... the darkest and blackest of cities ... a composition in black-and-white without any colourfulness.”10 One particular feature of the Venice paintings has been convincingly underscored: “the light that illuminates the topographic scene ... turns into the light of the colour ... for it is the colours themselves that shine solemnly here, not due to any external light source, but rather radiating from out of themselves.”11 The drawings of the 1930s already herald the artist’s characteristic preference for making exhaustive use of the potential of unusual materi- als and associated strategies in the painting process.12 It was then that the phenomenon crops up for the first time of enlivening empty spaces, like the sky and the sea, in a linear way. The repeated, only apparently unintentional hatching, the scribbles, dots or ink blots sometimes spreading out mildew-like over the plane, are like somnambulistic “traces of the hand’s movements”13. Here the artistic tool took shape which Peiffer Watenphul was then to use in all artistic genres as of the period around 1950. We perceive something similar in Zoran Mušič (1909– 2005). In Mušič’ art, however, the more ornamental feature is unmistak­ able given the graphism enlivening the picture grounds in his paintings and works on paper since the late 1940, reminding us directly of things Byzantine and sometimes evoking the impact of precious materials.

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