Leseprobe
13 Das unkonventionelle Leben und Arbeiten am Bauhaus In Weimar angekommen, gehörte Peiffer Watenphul fortan zu den rund 150 neu eingeschriebenen Studierenden, die am Bauhaus lediglich als Lehrlinge bezeichnet wurden.25 Das fortschrittliche Programm des Bauhauses, das der Gründungsdirektor Walter Gropius (1883–1969) bereits im April 1919 deutschlandweit in einem Manifest bekannt gemacht hatte,26 traf bei dem kunstbeflissenen Peiffer Watenphul auf offene Ohren.27 Entgegengesetzt zum konventionellen Akademiestudium war eines der ersten erklärten Ziele des neu konzipierten Bauhaus- Studiums, die getrennt voneinander aufgefassten Bereiche der Architek- tur, des Designs- beziehungsweise Kunsthandwerks und der Bildenden Künste in einer Ausbildung zusammenzuführen.28 Die daraus resultieren- den neuen Gestaltungszugänge sollten, so die zugrunde liegenden Gedanken, gesellschaftsverändernd und zukunftsweisend auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen einwirken. Dafür muss- ten die Lehrlinge den eingangs erwähnten Vorkurs absolvieren, in dem grundlegende Materialeigenschaften, Konstruktions- und Darstellungs- möglichkeiten, Bewegungs-, Form- sowie Farbenlehre vermittelt wurden. Neuartig waren die praktizierten pädagogischen Ansätze, die das zweck- freie Arbeiten förderten und so die Lehrlinge in deren Kreativität und Persönlichkeitsentwicklung bestärken sollten.29 Dem Vorkurs folgte die handwerkliche Ausbildung in den Werkstätten, zu denen während Peiffer Watenphuls Studienzeit neben der Gold-Silber-Kupfer-Schmiede auch eine Buchbinderei, Weberei, grafische Druckerei, Holz- und Steinbild- hauerei, Dekorationsmalerei, Tischlerei sowie Töpferei gehörten.30 Um die genannten Ziele zu verwirklichen, wurden die Werkstätten seit dem Wintersemester 1920/21 von Handwerker:innen und Künstler:innen als sogenannte Werk- beziehungsweise Formmeister:innen gemeinsam geleitet.31 In den ersten Jahren des Bauhauses kamen neben dem bereits genannten Itten spätere Protagonist:innen der jeweils sehr unterschied- lich arbeitenden künstlerischen Avantgarde nach Weimar: namentlich die Künstler Lyonel Feininger (1871–1956), Gerhard Marcks (1889–1981), Georg Muche, Oskar Schlemmer und Wassily Kandinsky (1866–1944).32 Aufgrund von Peiffer Watenphuls ausgedehnten Ausstellungsbesuchen und seinem großen Interesse an zeitgenössischer Kunst ist es nahelie- gend, dass ihm deren Arbeiten bereits bekannt waren.33 Die Tatsache, dass Paul Klee im Herbst 1920 ebenfalls ans Bauhaus berufen wurde und im darauffolgenden Jahr seine Lehrtätigkeit als Formmeister auf- nahm,34 hat sich auf Peiffer Watenphul, ungeachtet seiner anfänglichen Überraschung, vor allem bestärkend und motivierend ausgewirkt. Schließlich konnte er nun endlich an dessen Unterricht teilnehmen und den von ihm so geschätzten Künstler nicht nur zu Ateliergesprächen, sondern auch zu privaten Treffen besuchen.35 Inwieweit die findige Lily Klee zum Zeitpunkt ihrer damaligen Empfehlung schon ahnte, dass der Weg ihres Ehemanns ebenfalls nach Weimar führen würde, muss am Ende offenbleiben.36 Fest steht, dass der sich bis dahin autodidaktisch fortbildende Peiffer Wattenphul durch das breit gefächerte künstlerisch-handwerk- liche Lehrangebot und das anregende geistige Umfeld der Bauhaus- Schule in eine produktive Schaffensphase trat.37 So arbeitete er nachweislich in der Weberei, Töpferei sowie Druckerei und malte in der ihm zugeteilten Arbeitsstätte zahlreiche Stillleben, Stadt-, Land- schafts- und Atelierdarstellungen.38 Wie eingangs erwähnt, wurde Peiffer Watenphuls künstlerische Begabung frühzeitig erkannt und durch die ihm zugesprochenen Sonderrechte bewusst gefördert. Unconventional life and work at the Bauhaus After arriving in Weimar, Peiffer Watenphul became one of some 150 newly enrolled students, who were known at the Bauhaus simply as apprentices.25 The ground-breaking programme of the Bauhaus, that the founding director Walter Gropius (1883–1969) had already made known throughout Germany in his manifesto of April 1919,26 was received with open arms by the art savvy Peiffer Watenphul.27 In contrast to conven- tional academic art degree courses, the declared aim of the newly-con- ceived Bauhaus curriculum was to bring together the fields of architec- ture, design, applied arts and fine arts, which would normally be treated separately.28 The resulting approaches should, according to the underly- ing concepts, shape the life and working conditions of people and thus contribute to social change and future orientation. To this end the apprentices had to complete the aforementioned foundation course in which they learnt about the basic properties of materials, about construc- tion methods and different ways of making depictions, along with theo- ries of movement, form and colour. The practical pedagogical approaches were novel in that they encouraged a purpose-free manner of working, aimed at strengthening the creativity and personal development of the apprentices.29 After the foundation course craftsmanship could be developed in the various workshops, which in Peiffer Watenphul’s day included a gold, silver and copper smithy, a book bindery, weaving mill, graphic printing press, wood and stone sculpture, decorative painting, carpentry and pottery.30 In order to achieve the defined goals, as of the winter term 1920/21 the workshops were run by craftspeople and artists working together as so-called “work and form” masters.31 In the early years of the Bauhaus a number of very different representatives of the artistic avant-garde came to Weimar in addition to Itten: namely the artist Lyonel Feininger (1871–1956), Gerhard Marcks (1889–1981), Georg Muche, Oskar Schlemmer and Wassily Kandinsky (1866–1944).32 On account of Peiffer Watenphul’s frequent visits to exhibitions and his great interest in contemporary art he was naturally acquainted with their works already.33 The fact that Paul Klee was also called to the Bauhaus in the autumn of 1920 and started teaching as a form master the following year had an empowering and motivating effect on Peiffer Watenphul, his initial surprise notwithstanding.34 At last he could attend his lessons and even meet privately with this artist whom he so much admired, as well as enjoy studio consultations with him.35 Whether the resourceful Lily Klee already anticipated that her husband’s path would lead to Weimar at the time when she recommended this route to Peiffer Watenphul must remain an open question.36
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