Leseprobe

018 inhaltlichen Kontext erst vom Betrachter erschlossen werden. Die vielen Bühnenauftritte in Berlin und die zwei glanz­ vollen Ganzfigurenporträts hatten Slevogt und d’Andrade zu Freunden werden lassen. Der Opernsänger schätzte sich glücklich über seine Bildnisse und lud den Maler schon 1903 in seine Villa nach Bad Harzburg ein, wo er ihm für den Schwarzen d’Andrade nachweislich Modell stand. Bei diesem Aufenthalt entstanden nicht nur zahlreiche Fotos der beiden, sondern auch ein Porträt von d’Andrades Schwiegermutter sowie ein intimes Bildnis des Sängers bei der Zeitungslektüre. 16 Als Slevogt das Gemälde 1902 vollendete, hatte er damit sein erstes Künstler-Rollenporträt geschaffen, indem er die Ge- sichtszüge des Sängers mit den Charaktereigenschaften der Figur verschmolz. Francisco d’Andrade als selbstgerechter Feudalherr, der im teuflischen Übermut die Champagnerarie schmettert. Im Zusammenhang mit diesem und weiteren Bildnissen d’An- drades als Don Giovanni steht die mit Kohle ausgeführte Kopfstudie (Kat. 16) aus dem Museum Georg Schäfer, die nach Modell entstanden sein dürfte. Slevogt zeigt d’Andrade im strengen Profil nach links gewandt und betonte damit den schönen Kopf und die fei- nen Gesichtszüge des Portu- giesen. Die Lippen deuten ein zaghaftes Lächeln an. Durch den sparsamen Einsatz der Bildmittel steht die Zeichnung der zeitgleichen Studie d’An- drades (Abb. 2) aus der Max Slevogt-Galerie nahe, die Sle- vogt wahrscheinlich im An- schluss anfertigte und durch eine zurückhaltende Farbigkeit mit Ocker, Braun, Weiß und Rosé weiter konkretisierte. 15 1903 nahm Slevogt seine an- fängliche Bildidee zur Darstel- lung Don Giovannis mit dem Komtur wieder auf. Unter Zu- hilfenahme von Fotos und Be- wegungsstudien, wie der aus der Hamburger Kunsthalle (Kat. 17), schuf er 1903 den Schwarzen d’Andrade . In schwarz-gelbem Kostüm auftretend, interpretierte er Don Giovanni in der dramati- schen Todesszene. Die Umge- bung der Bühne ist nun völlig ausgeblendet. Stattdessen erscheint Don Giovanni vor einem unruhig flackernden, dunklen Hintergrund und kon- zentriert sich ganz auf die Hand des Komturs, die gerade noch von links ins Bild ragt. Der Schwarze d’Andrade psy- chologisiert das im Rollenspiel aktualisierte Bühnengesche- hen und verdichtet es in einer einzigen Geste. Im Unterschied zum triumphierenden Weißen d’Andrade ist die zweite Fas- sung düster und muss vom Über die Freundschaft des kongenialen Paares gibt auch eine Postkarte (Kat. 19) d’Andra­ des Auskunft. 17 Am 1. Mai 1905 wandte er sich fragend an Sle- vogt: »Bis jetzt haben wir we- der Eure Nachricht noch mein Bild erhalten. Was ist damit ge- schehen? Herzliche Grüße von Haus zu Haus, F. d’Andrade.« Der Opernsänger meinte mit dem angesprochenen »Bild« den Schwarzen d’Andrade , den Slevogt ihm zur Ausstattung seiner Berliner Wohnung ver- sprochen hatte. 18 Die dritte und letzte Rollen­ interpretation aus Mozarts be- kannter Oper, der Rote d’An­ drade (Abb. 3) , entstand erst nach einer Unterbrechung von neun Jahren und dies auf Ver- anlassung von Ludwig Justi (1876–1957), dem damaligen Direktor der Nationalgalerie. 19 Schon sein Vorgänger Hugo von Tschudi (1851–1911) war auf Slevogt aufmerksam geworden und hätte gern den Weißen d’Andrade nach seiner glanz- vollen Präsentation auf der fünften Secessionsausstellung im April 1902 für die National- galerie erworben – erhielt aber eine Absage von der Ankaufs- kommission. Nachdem Justi ebenso vergeblich versucht hatte, den Schwarzen d’An­ drade für Berlin zu sichern, sprach er 1911 mit Slevogt über die dritte Fassung: »Slevogt hatte wohl auch von vornherein an die Galerie gedacht. Er nahm eine ungewöhnlich große Leinwand und wählte einen be- sonders malerischen Eindruck: Don Giovanni auf dem Fried- hof, den toten Komtur läster- lich einladend, ›o statua genti- lissima‹, den Degen lockernd; hinter ihm ängstlich Leporello«, Abb. 2 Bildnis Francisco d’Andrade (Studie) – 1902 – Öl auf Leinwand – 50 × 40 cm – Edenkoben – Max Slevogt-Galerie, Schloss Villa Ludwigshöhe –

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1