Leseprobe
Laune, Grille, freie Fantasie, ein launenhaftes, willkürlich scheinendes Kunstwerk, in welchem der Komponist – was Plan, Ausführung und Gedan- kenfolge anlangt – sich mehr seiner Laune als der strengen Ordnung und Form einer bestimmten Gattung überlässt. 4 Das Capriccio war seit Mitte des 16. Jahrhunderts eine Kompositionsform, mit der ihr Schöpfer amüsante Bilder und kleine Geschichten im Kopf der Zuhörer entstehen ließ, in denen Tierstimmen, Schlach- tengetümmel oder Markttreiben musikalisch lebendig wurden. Es regte die Fantasie an, hatte Witz, war befreit von strengen Regeln und damit eine ideale Spielwiese des Virtuosen. Max Slevogt war solch ein Virtuose der Zeichnung und Illustration, der das Capriccio aufs Papier übertrug. Er be- nutzte gerne die Begriffe »Capricen« und »kapriziös«, 5 weil sie seinem Empfinden nach das Prickelnde beinhalteten, das rasch Vergängliche und ein Stück Seele. In seinen gezeich- neten »Capricen« gab er sich dem Vergnügen des Erfindens hin, denn: »Das Vergnügen ist eine schöne Sache. Der ver- dammte Ernst und Respekt der bei uns der Kunst entgegen gebracht wird, ist gerade das Hindernis u. der Knittel, der dem ernsten u. wahren Künstler zwischen die Beine geschoben wird.« 6 UR MAX SLEVOGTS IMPRESSIONISTISCHE ILLUSTRATIONEN riccio und estis- simo Für Max Slevogt spielte die Musik von seiner Jugend an eine bedeutende Rolle. Seine Mutter hatte ihn in Würzburg regelmäßig zu Konzerten und Opernaufführungen mitgenom- men und ihm Unterricht im Klavierspiel und Gesang er- möglicht. Weggefährten be- schrieben ihn als ausgespro- chen begabten Pianisten. 1 Motive aus der Welt der Musik durchziehen folglich auch sein Frühwerk. Zwischen 1886 und 1888 entstanden Schumann- Sonate (Kat. 53), Beethoven- Sonate und Chopin Präludien. In dem Roten Buch in der Gra- phischen Sammlung des Lan- desmuseums Mainz findet man Zeichnungen mit den Titeln Andante maestoso, Bach-Fuge sowie Illustrationen zu Carmen, Rigoletto und Tristan . Unter ein paar Zeichnungen entdeckt man sogar kurze Notenaus- züge, die annehmen lassen, dass Slevogt hier ganz konkret musikalische Passagen in bild- liche Ideen überführte. Hier soll es nun aber vor allem um Parallelen zwischen Sle- vogts Zeichnungen und der Musik gehen. 1948 schrieb der Kunstkritiker und Publizist Karl Scheffler: »Seine [Slevogts] Malerei ergründete nicht die Erscheinung, sie musizierte mit den Formen.« 2 Der Künstler selbst erklärte, dass für ihn Auge und Ohr im künstleri- schen Sinn nicht verschiedene Organe seien. 3 Capriccio 103
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