Leseprobe
104 Selbst wenn ihm manche The- men von den Verlegern vorge- geben wurden, wählte Slevogt als Illustrator doch diejenigen Szenen und Motive, die ihn be- sonders ansprachen und ihm Freude machten. Es musste nicht immer Shakespeare oder Goethe sein. Begeisterung ent- fachten in ihm auch Wildwest- und »Indianer«-Geschichten. 7 »Mit Hingebung hat er Coopers Lederstrumpf-Erzählungen und Ferrys ›Waldläufer‹ illustriert. Indianerromantik erfreute sein immer noch kindliches Herz«, so Karl Scheffler. 8 Dabei ließ er virtuos gleichermaßen Beob- achtungen aus dem Alltag als auch kunsthistorische Vorbil- der einfließen. So erinnert z. B. die Szene Harry Hurry schleu dert einen Huronen ins Wasser (Abb. 2) aus Der Wildtöter , dem ersten Band der Lederstrumpf - Erzählungen, an klassische Darstellungen von Herkules und Antäus (Abb. 1). Als Virtuose forderte Slevogt Anerkennung seiner schöpferi- schen Leistung auch und ge- rade im Bereich der Illustration. Hier war er ein leidenschaft licher Vorkämpfer. Er verglich den Illustrator mit dem Lied komponisten, dem »Vertoner eines Textes«. 9 Dieser Vergleich stammt aus dem manifestarti- gen Pro domo! , das der Künst- ler 1920 für den Verleger Bruno Cassirer verfasst und mit dem er seine Vorstellung von Illus tration erläutert hatte (Kat. 117). Abb. 1 Herkules und Antäus – Antonio del Pollaiolo – etwa 1470–1475 – Tempera auf Holz – 16 × 9 cm – Uffizien, Florenz Der Aufsatz war eine späte, aber ihm am Herzen liegende Reaktion auf Kritik an seiner früheren Arbeit. 10 Noch immer wirkte der anfängliche Misser- folg des Ali Baba (Kat. 64–68) von 1903 bei ihm nach. Cassi- rer hatte berichtet, wie damals Ansichtsexemplare zurückge- schickt worden waren, da man sich solche Kritzeleien ver- bäte. 11 Dabei hatte man damals schon ganz bewusst den Be- griff »Improvisationen« im Un- tertitel verwendet. 12 In der Mu- sik ist die Improvisation ein Vortrag aus dem Stegreif, ohne Vorbereitung. 13 So erfand auch Slevogt oft unmittelbar, ohne vorherige Entwürfe. Allerdings zeichnete er Motive zum Teil immer und immer wieder, immer weiter improvisierend, bis er den für ihn richtigen Moment in der passenden Form gefunden hatte. Weniger die abgeschlossene Eigenstän- digkeit der einzelnen Bilder als die Fortentwicklung der Geschichte lag dem Künstler am Herzen. Er konzentrierte sich auf Aktion und Geste. Slevogt war ein erzählender Zeichner. Erzählen bedeutet aber ebenso wie Musik ein Fortschreiten, nicht Anhalten. Slevogt transformierte das »Continuo« ins Skizzenhafte, in die schnell hingeschriebenen, malerischen, manchmal stück- haften, zerfressenen Linien. Das Unvollendete wurde zu seinem Prinzip und gibt der Fantasie des Betrachters Raum, die Geschichte selbst weiterzu- entwickeln, den Charakter der Figuren mit zu formen und zum Mitschöpfer zu werden. 14 In den Illustrationen zu den Alten Märchen fordert er sein Publikum genau damit heraus und lädt zur »Mitarbeit« ein. Das Blatt Die Geschichte vom Kalif Storch (Abb. 3) erzählt das Hauff’sche Märchen in elf Ein- zelbildern, die durch eine ori- entalisch anmutende Architek- tur im Stil von Mauresken getrennt und zugleich mitein- ander verbunden sind. Man blickt in kleine Medaillons, Ka- binette, Schaukästen und auf kleine Bühnen. Geschichten in Einzelbildern gab es schon früher – im 19. Jahrhundert z. B. in den mehrteiligen Bildern der Romantik, die ebenfalls durch architektonische Rahmen oder Arabesken verbunden und ge- trennt waren, oder in Bilderbö- gen und Bildergeschichten in Zeitschriften.
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