Leseprobe
D as Blatt gehört zu Slevogts frühesten Darstellun- gen musikalischer Themen. Der Künstler interpretierte in den Jahren zwischen 1886 und 1888, also noch in seiner Studienzeit, in ähnlicher Weise Beethoven-Sonate und Chopin Präludien in Bildern. Dabei ging es ihm wohl vor allem um die Übersetzung von Stimmun- gen und Gefühlen, die die Mu- sik in ihm auslöste, in eine Vi- sion auf dem Papier. Auch in dem sogenannten Roten Buch im Landesmuseum Mainz, mit dem er sich während seiner Studienjahre eine Motiv- und Themensammlung aufbaute, findet man eine Reihe von mu- sikalischen Interpretationen, u. a. zu Carmen , Rigoletto , Tris tan , ein Andante maestoso oder eine Bach-Fuge. Manche Zeichnungen sind mit Noten- auszügen versehen. Um welche Schumann-Sonate es sich hier handelt, ist noch nicht eindeutig bestimmbar. Die Figuren lassen an Schu- manns Klaviersonate in fis- Moll, op. 11, denken, die er 1835 komponierte und Clara Wieck mit dem Zusatz »von Florestan und Eusebius« widmete. Schu- mann griff dabei die Figuren der beiden Brüder aus Jean Pauls Flegeljahren auf: Flores- tan vertritt die stürmisch- leidenschaftliche Seite, Euse- bius die bedächtig-lyrische. Musik Die Sonate hat einen stark biografisch geprägten Hinter- grund, denn Claras Vater war zu dieser Zeit gegen eine Verbindung zwischen seiner Tochter und Schumann. Die Musik setzt die emotionalen Spannungen, aber auch fantasievolle Ideen um. Musikalisch würde aber ebenso Schumanns dritte So- nate, op. 14, passen, insbeson- dere das »Andantino de Clara Wieck« des dritten Satzes. Slevogts bildliche Interpreta- tion der Musik ist figürlich und irreal. Er übersetzte sie in eine Liebes- und Flugszene, in der das eng aneinanderge- schmiegte Paar sich über die Wolken eines nächtlichen Him- mels erhebt, begleitet von dunklen Vögeln, einem Lyra- Spieler und weiteren engelhaf- ten, aber nur als Schatten ge- gebenen Figuren im Hintergrund. Das Paar erinnert an Paolo und Francesca, das unglückliche Liebespaar aus Dantes Göttlicher Komödie. Das frühe Blatt lässt zudem an musikalische Interpretationen von Moritz von Schwind, den Slevogt in seinen frühen Jahren studierte, oder an Max Klinger, etwa dessen Evocation aus der Serie Brahmsphantasie. Opus XII von 1894 denken. – KR 130 Schumann- Sonate 053 – 1886 – Feder und Tusche in Blau und Schwarz auf Papier – 21×33,1 cm – GDKE – Direktion Landesmuseum Mainz, Slevogt- Archiv, Grafischer Nachlass – Inv.-Nr. DL SL NL 2001/101 – Lit.: Imiela 1968, S. 15. – Saarbrü- cken/Mainz 1992, S. 16, Abb. 4, S. 16. – Schenk 2015, S. 66 (Anm. 237, 238), 312, Abb. 9.
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