Leseprobe
222 D er Anlass für diese Dar- stellung war eine Beobachtung Slevogts während der »Immer- grün-Redouten« im Kaim-Saal in der Münchner Türkenstraße. Vor einer fantastischen Raum- architektur eines riesigen Theatersaals zieht eine rothaa- rige Frau in schwarzem Tüll- kleid stürmisch am Betrachter vorbei. Ihre schwarze Augen- maske ist ihr auf die Schulter gerutscht. Eine Modellstudie (Landesmuseum Mainz) aus dem Jahr 1895 zeigt eine Dame im schwarzen Kleid in einer ähnlichen Haltung, doch statt des späteren maskierten Mannes hält sie sich an einem Vorhang fest. Auch die Haltung des linken Armes wurde im späteren Totentanz ins Drastisch-Verrenkte verändert, sodass die fließende – fast taumelnde – Bewegung unter- brochen scheint. Die rechte Hand der Dame ergriffen, zieht sie ein maskierter Mann, mit Bauta – einer venezianischen Halbmaske – und Tabarro (Mantel) 1 bekleidet, zurück. Die Kombination aus Maske, markanter Kinnpartie und sichtbaren Zähnen lässt letzt- lich Assoziationen zu einem Totenschädel zu. Der Bewegungsgegensatz zwischen den beiden Personen wird mithilfe der dunklen und kräftigen Farben zusätzlich ge- steigert und betont den Kampf der Geschlechter, wenn auch beide Gestalten farblich zu einer Einheit verschmelzen. Ein weiterer Kontrast kommt in der Kombination aus nah und fern zum Tragen. Die direkte Thematisierung des Todes ge- hört zu den gängigen Motiven des Fin de Siècle. Vergänglich- keit und Lebensgenuss sind allgegenwärtige Gegensätze. Diese Widersprüchlichkeit setzte Slevogt auch in der Mimik der Frau fest. Sie blickt nicht entsetzt, vielmehr umspielt ein freches Grinsen ihren Mund. Sie gibt sich dem wilden und opulenten Treiben dieses Maskenballs hin und belächelt den Tod. Motivisch und farblich lassen sich deutliche Einflüsse eines Franz von Stuck und Arnold Böcklins erkennen. Der Toten tanz stellt zudem den Ab- schluss einer Phase sinnlich- erotischer Bildthemen in Slevogts Œuvre dar. – RS Der Totentanz/ Maskenball 133 – 1896 – Öl auf Leinwand – 102×123 cm – bezeichnet unten rechts: M. Slevogt 96 – Museum Georg Schäfer, Schweinfurt – Inv.-Nr. MGS 4306 – Lit.: Imiela 1968, S. 34, 354, Anm. 36. – Saarbrücken/Mainz 1992, Kat. 25, S. 18. – Schweinfurt 2000, S. 220. – Frankhäuser/ Krischke/Paas 2007, S. 16 f., 58 f. – Mainz 2014, S. 25. – 1 Der dunkle Umhang kann auch als »Domino« bezeichnet werden, der als Verkleidung diente.
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