Leseprobe
Die Künstlergruppe DIE KAUE – Arbeit an der Form Jeannette Brabenetz ImNovember 1948 schlossen sich in Freiberg fünf Künstler zu einer Gemeinschaft unter dem Namen »Die Kaue« zu sammen. Zu den Mitgliedern der ersten Stunde gehörten der Bildhauer Gottfried Kohl, die Maler Werner Küttner und Helmut Rudolph, der Gebrauchs- und Werbegrafiker Horst Morgenstern [Abb. 43] 74 und der Architekt Rolf Göpfert [Abb. 44]. Repräsentiert waren damit die klassi- schen Bereiche der bildenden Kunst – Malerei, Bildhauerei und Grafik –, die durch Göpfert noch um die Architektur erweitert wurden. Rolf Göpfert war es auch, der dieWorte amEingang zur ersten »Kaue« formulierte und damit deren programmatische Ausrichtung festhielt: »Eine kleine steile Hütte, vomWerkzeichen der Kunst überwacht gleich einem guten Stern: dies ist das Sinnbild und Zeichen des Frei- berger Künstlerkreises, der zum ersten Mal gemeinsam Rechenschaft gibt von Weg und Werk. Dem Fremden mag diese Hütte neu und fragwürdig sein, dem aber, dem die ›getreue Bergstadt‹ vertraut ist, ist sie auch ein vertrauter Begriff: Da, wo die heimatliche Erde um Freiberg vom Erze fündig wurde, richtete der Bergmann das kleine Dach der ›Kaue‹ auf, umunter seiner Hut den Schacht hinabzuteufen in den trächtigen Grund. […] Wir errichten auf der Heimat- erde die schlichte Hütte einer Künstlergemeinschaft. Wir beziehen den gemeinsamen Standort, um in die Tiefe zu schürfen, in die Tiefe von RaumundMensch und Zeit, denen wir zugesellt sind; in unseren geschichtlichen Raum, in unsere menschliche Gesellschaft, in die bedrängende Problemfülle unserer bedrängten Zeit. Wir wollen selbst Haspel und Eimer sein, die verborgenen Schätze aus der Tiefe ans Licht zu heben und sichtbar zumachen, wir wollen Gewissen und Sinne schärfen, das taube Gestein vom gediegenen Erz zu sondern […] Wir sprengen die spröde Kruste der Dinge, um zur Tiefenschau der Dinge hinter den Dingen zu gelangen. Damit sei die Parabel der ›Kaue‹ gekennzeichnet und was anfänglich vielleicht Rätsel war, erhellt nun seinen verborgenen Sinn.« 75 Mit dieser Ansprache und außerkünstlerischen Anbindung an die seit dem 12. Jahrhundert währende Freiberger Berg- bautradition wird deutlich, dass sich die »Kaue« an ein regionales Publikumwandte. Die Zielstellung und Program- matik der »Kaue« gleicht dabei der anderer Künstlergrup pen-Gründungen in der DDR, die den Aufbruch und die Kontinuität der Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg zu symbolisieren suchten und damit ihren Beitrag zu einer demokratischen Erneuerung der Gesellschaft in ihrer Re gion leistenwollten. Nach demKrieg und angesichts landes- weit zerstörter Kulturlandschaften nahm eine Reihe von Künstlerinnen und Künstlern – insbesondere in den kultu- rellen Zentren – die gesellschaftliche Notwendigkeit wahr, sich in Bündnissen unter symbolträchtigen, zum Teil agita- torischen Namensgebungen zusammenzuschließen, ge sellschaftliche Aufgaben und Fragestellungen in der Kunst zu behandeln und damit einen künstlerischenNeuanfang zu wagen: In Berlin gründete sich im Spätherbst 1945 der »Arbeitskreis sozialistischer Künstler«. In Dresden schloss man sich zwischen 1945 und 1947 zum »ruf« zusammen, aus dem 1947 die Vereinigung »Das Ufer« hervorging. In Halle (Saale) gründete sich »Die Fähre«, in Leipzig das »Künstlerkollektiv 48« und in Bautzen der »Arbeitskreis sorbischer Künstler«. 76 Durch das Kunstschaffen wie durch die Ausstellungs- tätigkeit der »Kaue« sollte die »Erziehung zur Kunst« und die »Erziehung durch die Kunst als der Läuterung zum wahrhaften Menschentum« 77 gelingen. Somit nimmt es nicht wunder, dass die erste Ausstellung am 28. November 1948 im alten Freiberger Natur- und Heimatkundlichen Museumeröffnete: »Es war keine großartige und prunkvolle Schau […]. Bemerkenswert dabei ist die völlig unvorein- genommene Offenheit dieser Künstlerschaft, die talentier- ten Anfängern, wie zumBeispiel einer jungen Bäuerin, einem 21jährigen Neulehrer und einem ehemaligen Dekorations- maler, durchaus das Recht der Bewährung in ihren Reihen 40 Perspektiven
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