Leseprobe

Gottfried Kohls plastisches Werk 59 licht.« 112 Doch beobachtete er auch, dass ihreWirkung von der Umgebung abhänge, in der dieWerke wahrgenommen würden: »Vor der Armut zeitgenössischer Architektur behauptet sich Skulptur mit Leichtigkeit als Projektion des Menschlichen schlechthin.« 113 Auf diese Weise verliehen Kohls Arbeiten wie die Werke anderer regional wirkender Künstler »ihren« Quartieren eine gewisse Individualität. So waren es unter anderen im Norden der DDR Jo JastramoderWalther Preik, inMagdeburg Dieter Borchardt, in Schwedt Axel Schulz, in Frankfurt/ Oder Erika Stürmer-Alex, in Eisenhüttenstadt Herbert Burschik, in Hoyerswerda Jürgen von Woyski, in Zwickau Berthold Dietz, in Chemnitz Hanns Diettrich oder in Dresden zum Beispiel Wilhelm Landgraf, die mit ihren Werken das Gesicht »ihrer« Städte prägten. Dass Kohls Intentionen einmal breiter gefächert gewesen waren, zeigt sein Schaffen der späten 1940er sowie vor allem der 1950er Jahre, als er nicht nur in Berlin, sondern auch in Freiberg für das Städtische Theater [Abb. 69, 70] wie für die Berufsschule Sgraffiti mit figürlichen Szenen, Wappen oder ornamentalen Bauschmuck entworfen hatte [Abb. 71–73]. Vor allem aber hatte er mit seinem »Achtundvierziger«-Denkmal für den Freiberger Schlossplatz, damals Otto-Nuschke- Platz [S. 130/131], mit einer abstrahierten und gestrafften Darstellungsweise seiner Figuren in einer dynamischenReihung gemeinsammit Rolf Göpfert auch formal einen zeitgemäßenWeg beschritten, auf den er in den folgenden Jahren nicht mehr zurückkam. Dieser Verzicht auf Experimente liegt in einer stärkeren Einflussnahme auf das Schaffen der bil- denden Künstler begründet, denn das politische Klima hatte sich gewandelt: In den ersten Jahren nach 1945 ging es zunächst um einen Neuanfang im humanistischen Sinne und eine damit einher- gehende Erneuerung der Künste, wobei alle, die gutenWillens waren, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft oder der von ihnen vertretenen Kunstrichtung, außer der nationalsozialistischen, ein- bezogen wurden. Deshalb forderte der Freiberger Museumsdirektor Heino Maedebach in der Ein- leitung des Katalogs der »Zweiten Ausstellung Erzgebirgischer Künstler« 1947mit Rückblick auf die ideologisch instrumentalisierte Kunst der Nazizeit vor allem schöpferische Freiheit: »Nach jahre- langer Bevormundung atmet die Kunst unserer Tage wieder schöpferische Freiheit. Nur sowird jene Verinnerlichung und Vermenschlichung möglich sein, die das Ziel all unserer Bemühungen um Deutschlands Neuaufbau ist.« 114 Doch änderten sich die Zeiten. Ab 1949 wurde in der DDR die sogenannte Formalismusdebatte geführt, die auf die Künstler niederging »als ein Bombardement aus Besserwisserei, Missverständ- nissen und Verboten. Folgen der Devotheit gegenüber der sowjetischen Kunst der Stalinzeit und des schlechten Geschmacks der Funktionäre«, wie es in Jutta Voigts Buch über »Die Boheme des Ostens« heißt. 115 Als beispielhaft dafür seien jene kulturpolitischen Forderungen angeführt, die im Katalog zur »Mittelsächsischen Kunstausstellung« imSchlossbergmuseumChemnitz im Jahr 1950 – neben dem Text hinweglaufend wie Schriftbanner – den Lesern vor Augen gehalten wurden: »Die Kunst ist nichts ohne das Volk.« 116 »Der Todfeind jeder nationalen Kultur ist der Kosmopolitismus.« 117 »Die Kunst hat dem Leben zu dienen.« 118 »Das Volk verlangt von seinen Künstlern Parteinahme.« 119 Damit vertraten die Herausgeber eine Haltung zur Kunst als eines nützlichen Werkzeugs, das im Dienst der politischen Erneuerung, nicht aber für sich selbst stand. Ähnlich einschüchternd lautete

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1