Leseprobe
Gottfried Kohls plastisches Werk 61 es noch acht Jahre später, als vom Künstler »strengste Parteilichkeit im Klassenkampf, Bekennen zum sozialistischen Realismus, Wahrheitstreue und Volksverbundenheit« verlangt wurden. 120 »Sozialistischer Realismus« und »Volksverbundenheit« wurden dabei auf der formalen Ebene eng mit angeblich leicht verständlicher figurativer Plastik und Malerei verknüpft; in der westlichen Moderne aufkommende Bestrebungen nach Abstraktion, nonfigurative oder ungegenständliche Gestaltungen wurden hingegen als »bürgerlich-dekadent« abgelehnt. Angesichts dieser Forderungen ist der äußere Grund für Kohls Zurückhaltung klar: Er wollte nicht solcher »Vergehen« wie der Volksferne, des Kosmopolitismus, der Lebensfremdheit oder des sich selbst genügenden l’art pour l’art bezichtigt werden, die einer »formalistischen« Kunst unterstellt wurden, und begnügte sich deshalb von vornherein mit kulturpolitisch unanstößigen Sujets und Gestaltungsweisen. Der Preis dafür, sich an Ausstellungen wie jener in Chemnitz 1950 beteiligen zu dürfen, war eine Anpassung des künstlerischen Schaffens an die politischen Forderungen. In Kohls Fall mochten sie auf eine innere Gestimmtheit getroffen sein, die sich für ihn als wenig konfliktreich auswirkte, denn er wollte aus eigenen Intentionen heraus volksnah arbeiten und von einem breiten Publikum verstanden werden. Was Kohl ohne die Einflussnahme von außen geschaffen und worin dies sich von seiner tatsäch- lichen Produktion unterschieden hätte, bleibt damit müßige Spekulation. Das betrifft auch Künstler- kollegen; so fasste Karl Brix 1984 in einer Retrospektive zur Kunst im Bezirk Karl-Marx-Stadt zu sammen, dass für sie »eine schlichte Gegenständlichkeit charakteristisch ist, die einer Diskussion umProbleme von Formalismus und Realismus, wie sie besonders zu Beginn der fünfziger Jahre not- wendig wird, weit weniger Spielraum läßt als in Berlin oder Dresden«. 121 Im Hinblick auf dieses appellierende, mahnende, fordernde politische Klima, das alle Lebens- bereiche auf eine heute kaum vorstellbareWeise bestimmte, stellt sich die Frage, wie Kohl während seiner Tätigkeit an der Berliner Stalinallee den dortigen Volksaufstand am 13. Juni 1953 wahrnahm. Bedauerlicherweise hat er dazu weder schriftliche noch mündliche Informationen hinterlassen. 122 Nicht nur in Berlin und Dresden, sondern auch in Freiberg wirkte sich das gewandelte kultur- politische Klima aus. So ließ – anders als sein Amtsvorgänger Heino Maedebach – der Museums- direktor Eberhardt Neubert im Jahr 1958 imVorwort zur ersten Personalausstellung Gottfried Kohls bei sonstigemWohlwollen einen mahnenden Unterton mitschwingen, als er schrieb: »Fragwürdig ist die Plastik in unserer Gegenwart wieder geworden. Fragwürdig gerade deshalb, weil sie sich soeben in einem Naturalismus fast erschöpft hat. […] Das anfängliche Schaffen Gottfried Kohls ist ein herkunftsgegebenes Bemühen umeinWiederfinden vonNaturformen imgewachsenenMaterial Holz. Eine entgegenständlichende Abstraktion tritt dabei nicht ein. Allerdings läuft imgegenwärtigen Schaffen mit demWunsche, das Material deutlich sprechen zu lassen, eine Abstraktion des motiv- gebenden Naturvorbildes einher. Ganz ähnliche Tendenzen werden auch auf den als gewachsen empfundenen Stein übertragen.« 123 Über innere Gründe für Kohls Selbstbeschränkung auf das rein Figürliche lässt sich nur speku- lieren. BeimBlick auf sein Gesamtwerk ist eine ausdrückliche Affinität zur Darstellungmenschlicher Figuren, eine sinnliche Freude an Körperformen von Menschen wie von Tieren bestimmend. Doch auch der Wunsch nach Übereinstimmung mit seiner Umgebung, nach Kontakt zu seinem Publi- kum und nach dessen Anerkennung mag darin mitschwingen, ebenso wie die Notwendigkeit zum Broterwerb. Jedenfalls erhielt er seit seiner Rückkehr aus Berlin nach Freiberg im Jahr 1956 regel- mäßig Aufträge für Plastiken, Reliefs und Büsten aus der Stadt, demmittleren Erzgebirge und dar- über hinaus, und zwar über den gesellschaftlichen Umbruch von 1989 hinweg bis in seine letzten Lebensjahre.
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