Leseprobe
94 Gottfried Kohls zeichnerisches Werk Aus der Zeit der Stationierung in der Sowjetunion haben Porträts aus Weißrussland (Belarus) und der Ukraine die Zeiten überdauert. Aus dem Juli 1942 sind zumindest zwei Blätter mit Dar- stellungen unbewohnter, abgedeckter Ruinen von Blockhütten überliefert, die Kohl mit Feder zeichnete [Abb. 126]. Ihr Duktus wirkt sicher, straff und eher dokumentarisch als von persön- lichem Empfinden durchdrungen. Für seine Bildnisstudien wählte er hingegen Kohle, mit der er Licht und Schatten modulieren konnte. Unter anderem ist eine Zeichnung aus Orscha amDnepr überliefert [Abb. 127]. Die Industrie- stadt wurde während des ZweitenWeltkrieges von derWehrmacht eingenommen und war danach ein wichtiger Standort der Luftwaffe. Augenscheinlich war Kohl dort lange genug stationiert, um Zeit für derartige Porträtstudien zu finden. ImStil dieser Zeichnung ist eine ganze Reihe überlebens- großer Porträtstudien in Kohle entstanden, darunter eines »Weißruthenischen Bauern«, einer »Ukrainischen Bäuerin«, einer »Tatarenfrau« oder eines »Tatarenbürgermeisters«. Auch wenn die Titel verso von der Hand Hermine Kohls stammen, gehen sie sicher auf den Zeichner selbst zurück. Die Wortwahl suggeriert ein ethnologisch-distanziert anmutendes Interesse für die dortigen Bewohner, während die Blätter selbst vermitteln, dass der junge Zeichner, der bis dahin nicht viel außerhalb seiner Heimatregion gesehen hatte, von den dargestellten Menschen durchaus beein- druckt war, ihre Physiognomien genau studierte und sie bis hin zu Details wie Ohrperlen, Brosche, Mützen oder Schal sicher einfing. Zumeist erscheinen die Dargestellten ernst. Aus heutiger Sicht hätte man gern gewusst, wie der junge Wehrmachtssoldat auf die Einwohner der besetzten Länder zuging und sie als Modelle gewann. Auf der Ausstellung »Soldat und Künstler« 1943 in Dresden im Galeriegebäude auf der Brühlschen Terrasse 211 sowie imHeimatmuseumGlauchau stellte Kohl einige seiner »Gestalten aus demOsten« aus. 212 Damit war er nicht allein, wie aus einer Besprechung der Dresdener Ausstellung hervorgeht; vielmehr führte die Rezensentin neben Kohls Bildnissen auch russische »Charakter- köpfe« von Hans Kinder, Siegfried Schmidt und Rudolf Bergander an. 213 In der Sowjetunion 1942 Abb. 126 Gottfried Kohl, Blockhütte im Dorf Ubnia, 1942, Feder in Schwarz, Maße unbekannt, Privatbesitz Abb. 127 Gottfried Kohl, Porträt einer Russin aus Orscha, 1940, Kohle, 33,2×35,3 cm, Privatbesitz
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1