Leseprobe
96 Gottfried Kohls zeichnerisches Werk Ein weiteres Selbstporträt steht für den nächsten Einschnitt in Gottfried Kohls persönlichen Lebensumständen [Abb. 131]. 219 Kurzzeitig zur 4. Fallschirmjägerdivision der Wehrmacht versetzt, die in Italien stationiert war, erlitt er im April 1945 eine schwere Kopfverwundung und geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Von dort aus wurde er in das südfranzösische »Camp 172 Vernet« verlegt. Vermutlich dort entstand mit Feder und Tusche das Selbstbildnis mit längerem Haar, ausgeprägten Falten und seitwärts gerichtetem Blick. Die Härten des Daseins als Zwangs- arbeiter fern der Heimat sind ins magere Gesicht geschrieben, das damit zu einem Spiegel seiner Situation wird. Hier nähert sich der Zeichner den Möglichkeiten der Porträtkunst an, sowohl was ihre selbsttherapeutische Dimension als auch ihren psychologischen Gehalt betrifft: Das Blatt lässt Empathie zu. Damit bildet es den Abschluss seiner großformatigen Bildniszeichnungen, an die er später bis auf eine Ausnahme [Abb. 135] nicht mehr anknüpfte, sondern die er durch seine geschnitzten undmodellierten Porträtköpfe ablöste. Sie zeichnen sich durch energische, souveräne Beherrschung der Mittel aus, mit denen Kohl seine Gegenüber rasch und ihre physiognomischen Eigenheiten auf effektvolle Weise erfasste, ohne dabei eine stärkere psychologische Durchdrin gung anzustreben. Abb. 129 Gottfried Kohl, Profil eines Jungen nach links, um 1943, schwarze Kreide, 49,5×39,8 cm, Stadt- und Bergbaumuseum Freiberg, Inv.-Nr. 2020/234 Abb. 128 Gottfried Kohl, Hocken- der Frauenakt, 1943, schwarze Kreide, 37,5×31,5 cm, Stadt- und Bergbaumuseum Freiberg, Inv.-Nr. 2020/169
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