14 Einleitung Von Liebe und Krieg Puṛanānūṛu (1894) – puṛam-Dichtung, die die Ethik des Krieges und der Tapferkeit zelebriert, und Ainkuṛunūṛu (1903) – akam-Dichtung, die die Nuancen der Liebe beschreibt, zu neuem Leben. Die Wortführer der aufkommenden Dravidischen Bewegung2 ließen in ihren Reden schnell die im Puṛanānūṛu beschriebene Tapferkeit tamilischer Männer und Frauen (vor allem der Mütter) einfließen. Dichter*innen und Wissenschaftler*innen entdeckten den Reichtum der Liebeslyrik des Ainkuṛunūṛu. Über die Zugänglichkeit des tamilischen literarischen Erbes für nachfolgende Generationen hinaus lieferten U.V. Swaminatha Iyers Veröffentlichungen der Caṅkam-Literatur und der klassischen Tamil-Epen die Kernkonzepte, die tamilische Identitäten heute zumeist ausmachen. Ein weiterer wichtiger Meilenstein tamilischer Geschichte(n) war die Veröffentlichung des Buches A Comparative Grammar of the Dravidian or South Indian Family of Languages von Robert Caldwell im Jahr 1856. Caldwell zeigte darin, dass die südindischen Sprachen eine eigenständige Sprachfamilie bildeten, verschieden von den indoarischen Sprachen, zu denen die meisten nordindischen Sprachen einschließlich des Hindi zählen. Während Sanskrit den Prototyp der indoarischen Sprachen bildete, bewies Caldwell, dass Tamil die Urform der südindischen Sprachen wie Telugu, Malayalam, Kannada und Tulu war. Obwohl das Wort »Dravida« als Bezeichnung für den Süden des indischen Subkontinentes bereits in zahlreichen alten Texten vorkam, war es Caldwell, der die Sprachfamilie als »dravidische Sprachen« bezeichnete. Dies wiederum nährte die Vorstellungen subnationalistischer politischer Bestrebungen, nachdem Indien unabhängig geworden war. Der politische Diskurs war stark geprägt vom Dualismus zwischen Nordindien und Südindien und dem Aufzwingen von Hindi als Verkehrssprache gegenüber dem Versuch, das Tamil zu bewahren, was zugleich den Aufstieg der Dravidischen Bewegung vorantrieb. Hierzu lieferte Caldwells Buch die theoretische Grundlage. Nach der Wiederentdeckung der Caṅkam-Literatur und dem Aufstieg der Dravidischen Bewegung zur Macht wurde 2004 ein weiterer Höhepunkt erreicht, als Tamil als erste Sprache in Indien offiziell – noch vor Sanskrit – den gesetzlichen Status einer »klassischen Sprache« erhielt. Dabei erfüllte die Sprache drei Kriterien: einen nachweisbar frühen Ursprung, eine eigenständige Überlieferung und einen umfangreichen Korpus alter Literatur. Í 4 Marutam-Landschaft bei Madurai, Tamil Nadu. Foto: Prashanth Swaminathan, Chennai.
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1