der tamilischen Sprache. Darüber hinaus sind diese Jain-Höhlen eine Erinnerung daran, dass die religiöse Landschaft des tamilischen Landes, wie Südasiens überhaupt, schon immer eine Vielfalt von Glaubensrichtungen und religiösen Gemeinschaften aufwies – wobei einige Überzeugungen und Praktiken geteilt wurden, während andere miteinander in Konflikt standen. Jains und Buddhist*innen haben nicht nur Spuren ihrer früheren Gegenwart in der Landschaft hinterlassen, sondern auch bedeutende Beiträge zur tamilischen Literatur und zu den anderen Künsten geleistet. Jains und Buddhisten in der tamilischen Literaturgeschichte Im Jahr 1887 veröffentlichte U. V. Swaminatha Iyer (1855–1942) eine kritische Ausgabe des Cīvakacintāmaṇi, eines langen, erzählenden Gedichtes in Tamil aus dem zehnten Jahrhundert, das einem Jain-Dichter zugeschrieben wird und das Swaminatha Iyer trotz seiner Gelehrsamkeit und langjährigen wissenschaftlichen Ausbildung bis 1880 unbekannt gewesen war. Die Begegnung mit Gelehrten aus der kleinen JainGemeinschaft, die den Text immer noch lasen und verehrten und die er bei der Bearbeitung des Textes um Hilfe bat, führte ihn auf eine literarische Entdeckungsreise, die ihn den Rest seines Lebens beschäftigen sollte. Zusammen mit C. W. Damodaram Pillai (1832– 1901) entdeckte und veröffentlichte Swaminatha Iyer viele Werke der klassischen tamilischen Literatur wieder, darunter die Gedichte der Caṅkam-Anthologien, die früheste Grammatik, das Tolkāppiyam, und längere erzählende Gedichte wie das Cilappatikāram und das Maṇimēkalai (Cutler 2003: 272–275). Das Cilappatikāram (»Geschichte eines Fußkettchens«) ist ein langes, erzählendes Gedicht, das etwa im fünften bis sechsten Jahrhundert verfasst wurde und Ilankovatikal, einem Jain-Mönch, zugeschrieben wird. Es ist eine Geschichte von Liebe und Verlust, gewaltsamem Tod und Ungerechtigkeit, die zur Verwandlung der Heldin der Erzählung von einer hingebungsvollen Ehefrau zu einer wilden Göttin führt. Das Cilappatikāram spielt in den Reichen der Könige (Mūvēntar) der drei alten tamilischen Dynastien der Cōḻa, Cēra und Pāṇṭiya. Aus diesem Grund haben einige Befürworter*innen des modernen tamilischen Kulturnationalismus den Text als starkes Symbol der tamilischen Identität und Macht verstanden (Cutler 2003: 300). Das Maṇimēkalai stammt etwa aus der gleichen Zeit, entstand aber in einem buddhistischen Milieu. Es ist eine lange, raffinierte und schöne, poetische Erzählung über das junge Mädchen Maṇimēkalai, Tochter einer Kurtisane, die sich allmählich vom Leben der Sinneslust abwendet, um auf der Suche nach Befreiung Asketin zu werden. Die Publikation dieser Texte in gedruckter Form, die aus der »tamilischen Renaissance« zwischen den 1880er und 1920er Jahren hervorging, zeigte nicht nur die frühen Wurzeln der klassischen tamilischen Literatur und Kultur. Sie unterstrich auch die einflussreiche und dauerhafte Präsenz von Jains und Buddhist*innen in der gemeinsamen religiösen und literarischen Kultur des frühen Südindien – ein Beitrag, der durch die spätere Dominanz des Śivaismus und Viṣṇuismus übersehen, wenn nicht sogar aktiv verzerrt wurde. Im Tēvāram, einer Sammlung tamilischer śivaitischer Bhakti-Dichtung, verurteilten die Dichter-Heiligen Appar und Campantar sowohl die Jains als auch die Buddhisten für ihre Lehren und Praktiken. Jains wurden durchweg als verhasste »Andere« dargestellt, und die gegen sie gerichtete Polemik war ein wichtiges Element im Aufstieg des Śivaismus als dominante Religion der tamilischen Bevölkerung seit dem elften Jahrhundert (Peterson 1998: 163–164). Eine der populärsten Erzählungen über den Umgang der śivaitischen Gemeinschaft mit der Jain-Gemeinschaft ist der Konflikt zwischen Campantar und den Jains in Madurai, der Hauptstadt der Pāṇṭiya-Könige. In einer Reihe von wundersamen Wettkämpfen wird die Überlegenheit der Verehrung Śivas gegenüber den Lehren der Jains demonstriert: Der König wird durch heilige Asche und das Rezitieren eines Mantras von einer Krankheit geheilt; ein Manuskript von Campantars Hymne zum Lob Śivas taucht unberührt aus einem Feuer auf, während ein JainManuskript zu Asche verbrennt. Die Niederlage in diesem Wettkampf führte zur massenhaften Pfählung der Jains – einem Ereignis, das im Periyapurāṇam (einem Werk aus dem zwölften Jahrhundert) und in den lokalen Legenden und Festen von Madurai überliefert, gefeiert und gelegentlich auch von Künstlern dargestellt wurde. Obwohl es keine historischen Aufzeichnungen darüber gibt, führte es der tamilischen śivaitischen Gemeinschaft die Überlegenheit der Hingabe an Śiva vor Augen und begründete den Verlust der wirtschaftlichen oder politischen Macht der Jains in Madurai. 169
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