Leseprobe

28 diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass der Blick in die unberührte Naturlandschaft in seinem zeichnerischen Œuvre fast gänzlich fehlt.7 Schadow war Bildhauer und sah als Bildhauer. Das Medium der Zeichnung war ihm dabei Ideenpool und Visua­ lisierung zugleich: »Meine mehreste Zeit nehmen bestellte Arbeiten weg«, so Schadow, »selten bleibt mir eine Stunde, die ich meiner Laune weihen kann; und wie viele Ideen schweben einem nicht vor, die man wenigstens mit dem Griffel auf dem Papier festhalten, andere die man ganz verkörpern möchte!«8 Dabei war ihm stets auch die Grenze des Mediums bewusst: »freilich muss man auch öfters eine Zeichnung machen, weil diese leichter vorge- zeigt und auch allenfalls in einem Briefe mitgetheilt werden kann; diese aber nutzt dem Statuar darum wenig, weil sie nur eine Seite, eine Ansicht giebt.«9 Zeichnen als Grundlage akademischer Bildhauer- ausbildung Von der Werkstatt bis zur Kunstakademie galt Zeichnen seit Jahrhunderten als eine Grundbedin- gung jeglicher weiterführender künstlerischer Be- tätigung.10 Auch Schadow sah hier eine Grundvor- aussetzung für darauf aufbauende Studien: »Ich setze voraus, daß Disciplen, welche meinem Unter- richte anvertraut werden sollen, schon nach Hand- zeichnungen geübt sind und den Grad erreicht ha- ben, wo man sie pflegt nach dem Gips bossieren oder zeichnen zu lassen, eine Crisis die am meisten Zeit wegnimmt, wo der Geist wenig beschäftigt, die unaufhörlich aufmerksamen Augen den Händen jene Praktik verschaffen, die nachher so unumgäng- lich nötig ist.«11 Vor dem Hintergrund der sich in Berlin im Aufbau befindlichen akademischen Gips- sammlung12 formulierte Schadow in seiner 1788 verfassten Denkschrift13 zur Künstlerausbildung sogleich eine entscheidende Prämisse, die den zu zeichnenden Gegenstand betrifft: »Das beste Mittel, den Mangel an antiken Gipsabgüssen zu ersetzen, ist die schöne Natur selbst zu benutzen. Diese ist allenthalben. Es ist die erste Quelle, woraus alles Gute und Schöne ist geschöpft worden; das Antike ist nur die zweite.«14 Diese Hinwendung zur Natur – noch vor der idealen, als vorbildhaft geltenden Antike – ist für Schadows Kunstauffassung pro- grammatisch, darf für die damalige akademische Ausbildung aber als revolutionär bezeichnet wer- den.15 Schadow plädierte für ein genaues Beobach- ten der Natur ebenso wie für die Aneignung der ihr zugrunde liegenden naturwissenschaftlichen Er- kenntnisse und forderte Studien nach dem Skelett und der Anatomie (Abb. 8) , um den Gegenstand »präzise« kennenzulernen und ihn in der Folge mit »Faszilität« bilden zu können, »selbst da, wo man alle antiken Abgüsse hat, bedient man sich dieser Methode«. Und er schlussfolgerte: »Die Natur hat keine Manier«!16 Antike konnte und sollte idealer- weise den Rahmen, doch nicht die alleinige Orien- Abb. 8 Johann Gottfried Schadow, Studien- blatt mit drei Tierschädeln, 1809, schwarze Kreide auf grauem Bütten, 130×313 mm, Akademie der Künste, Berlin, Kunstsamm- lung (Inv.-Nr. KS-Schadow 1056.c), WV 945

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