Leseprobe

29 tierung bieten. Schadow war gewissermaßen auf der Suche nach dem Paradox eines realen Ideals, in dem die Wirklichkeit gleichsam als »Korrektiv« der normativen Antike fungierte. Schadow begründete seine Hinwendung zur Natur einerseits damit, dass die antike Kunst selbst auf Naturbeobachtung zu- rückgehe, anderseits bewahre der Blick auf die Na- tur den Künstler auch davor, einer stilistischen Ma- nier aufzuliegen. Mehr noch, erst die Beschäftigung mit der allem zugrunde liegenden Natur ermögliche es dem Künstler, »seine eigene Art, die Natur zu imitieren«, zu entdecken: »Es ist besser, als wenn der Schüler hinter seine[m] Meister herläuft oder so viel französische Gipsabgüsse kopiert, bis er sie endlich für das non plus ultra in der Kunst hält.«17 Forschungen für die Kunst Johann Gottfried Schadows Bemühen um die natur­ wissenschaftliche Erfassung des menschlichen Kör- pers und die Nutzbarmachung dieser Erkenntnisse für die Bildhauerei setzte früh in seinem Œuvre ein und beschäftigte ihn mehr als 30 Jahre.18 So ma- chen seine anatomischen und kraniologischen Stu- dien einen beachtlichen Teil der vorhandenen Gra- fiken aus.19 Mit dem zunehmenden Erlahmen öf- fentlicher Aufträge verstärkte er das Bemühen um seine Forschungen und publizierte als bereits 70-Jähriger auf eigene Kosten die über Jahre vor­ genommenen Beobachtungen in aufwendig bebil- derten Text- und Tafelbänden. Rückblickend schrieb er sich hiermit aktiv in die Kunstgeschichte ein; gilt heute doch insbesondere sein »Polyclet« im internationalen Vergleich als »Bestseller«20 und als Abb. 9 Johann Gottfried Schadow, Ent- wurf für das Grabmal des Grafen von der Mark, 1788, schwarze Kreide auf blauem Bütten, weiß gehöht, 593×471 mm, Akademie der Künste, Berlin, Kunstsamm- lung (Inv.-Nr. KS-Schadow 780), WV 233

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