Leseprobe

47 Käthe Kollwitz (1867–1945) war studierte Malerin, die in der Druckgrafik ihr Hauptbetätigungsfeld gefunden hatte, und die in der Mitte ihres Lebens die Bildhauerei für sich entdeckte. Ihr umfang- reiches zeichnerisches Œuvre beinhaltet Skizzen und Motivstudien, die der Künstlerin immer wie- der als Fundus für neue Bilderfindungen dienten. Dazu kommen bildmäßig angelegte Zeichnungen, die als eigenständige Werke konzipiert sind, und bildhauerisch empfundene Darstellungen von Ein- zelfiguren oder Figurengruppen. In dem bis heute gültigen Werkverzeichnis der Handzeichnungen von Käthe Kollwitz1 aus dem Jahr 1972 wird mit Verweis auf eine Publikation von 19122 konstatiert, dass ihr zeichnerisches Werk spät Anerkennung gefunden habe und erst mit der Ausstellung in der Galerie Cassirer anläss- lich ihres 50. Geburtstags im Jahr 1917 von der Öf- fentlichkeit zur Kenntnis genommen worden sei. Mit den Ausstellungen zum 100. Geburtstag der Künstlerin im Jahr 1967 habe dieser Werkteil dann seine angemessene Bedeutung erlangt. Diese Einschätzung muss für die Zeit bis 1933 si- cher differenziert betrachtet werden, für die nach- folgenden Jahre ist eine reduzierte Wahrnehmung des Werks von Käthe Kollwitz jedoch festzustellen. Die Verfemung der Künstlerin im NS-Staat und ihre Wiederentdeckung im Kalten Krieg zweier politischer Systeme ließen den künstlerischen Ge- halt der Arbeiten von Käthe Kollwitz in den Hin- tergrund treten. Betonte in der Nachkriegszeit die eine Seite das politische Engagement der Künst- lerin, so galt sie der anderen Seite vor allem als mitleidende Frau. Unter den zahlreichen Ausstel- lungen in Ost und West anlässlich ihres 100. Ge- burtstags 1967 war es dann besonders der Präsen- tation in der Staatsgalerie Stuttgart zu verdanken, dass die Zeichnerin Käthe Kollwitz eine angemes- sene Würdigung erfuhr und dieser Werkteil erst- mals umfassend aufgearbeitet wurde. Bereits 1901 hatte Max Lehrs, der früh begann, Kollwitz-Arbeiten für die Kupferstichkabinette in Berlin und Dresden zu sammeln, Befürchtungen über eine mögliche Vereinnahmung ihrer Werke geäußert. In der Zeitschrift »Die Zukunft« schrieb er: »Der Ernst des Lebens ist ja freilich nicht jeder- manns Sache und dadurch erklärt es sich, daß ihre [Kollwitz] Radierungen nur auf einen verhältnis- mäßig kleinen Kreis intimerer Kunstfreunde einen tieferen Reiz ausüben können, der jedem ehrlich gemeinten Werk von Künstlerhand eignet. Es wäre sehr zu bedauern, wenn sie lediglich ihres sozialen Inhaltes wegen bei Leuten Anklang fänden, denen der künstlerische Gehalt gleichgiltig [sic], Vorwurf und Tendenz die Hauptsache sind.«3 Über die zeitweilige Verengung des Blicks auf das Werk der Kollwitz darf jedoch nicht vergessen werden, dass ihre Arbeiten früh beachtet worden waren und auch ihre Zeichnungen von Beginn ih- rer Karriere an eine wertschätzende Aufmerksam- keit, wenn nicht gar Begeisterung, erfahren hat- ten. Ihre kraftvolle Bildsprache, ihre technische Versiertheit und ihr konzentriertes Schaffen wur- den in der Zeit um 1900 für eine Künstlerin zwar als ungewöhnlich empfunden, ihr Werk aber stets bewundernd gewürdigt. Immer wieder wurde ihre Kunst wegen ihrer Ausdrucksstärke als ›männlich‹ tituliert, was zur damaligen Zeit jedoch durchaus als Kompliment galt. Temperamentvoll hatte der große Verehrer ihrer Kunst, Max Lehrs, noch 1922 geschrieben: »[…] ich muss immer lächeln, wenn man vor ihren Blättern wohltemperierte Worte der Anerkennung hört: Das sei für eine Frau alles mögliche! – Mein Gott, wieviel Männer haben wir denn, denen eine Komposition wie der ›Losbruch‹ aus dem Bauernkriegszyklus mit dieser elementa- ren Wucht, dieser unerhörten Kraft und diesem zeichnerischen Können gelänge?«4 Vielfach unbeachtet blieb in der Rückschau au- ßerdem, dass die anspruchsvollen Werke von Käthe Kollwitz mit ihren oft dramatischen Bildmotiven schon zu ihren Lebzeiten nicht nur international ausgestellt wurden, sondern ebenso Eingang in ambitionierte Kunstsammlungen gefunden hatten. Etliche Privatsammler widmeten sich vor 1933 mit großem Engagement ihrem Werk, darunter befin- den sich Namen bedeutender Sammlungen, wie von Julius Freund in Berlin, Salman Schocken in Chemnitz oder Oskar Schmitz in Dresden. Auch im Auktionshandel der 1920er- und 1930er-Jahre fin- den sich immer wieder größere Konvolute bedeu- tender Blätter der Künstlerin – so wurde 1929 eine umfangreiche Sammlung aus Kassel versteigert, die 20 Zeichnungen und über 100 seltene druck- grafische Arbeiten umfasste. Von den langjährigen Freunden und Verehrern der Kunst von Käthe Kollwitz wurde natürlich auch ihre Stilentwicklung verfolgt und kommen- tiert. Mit der Veröffentlichung des Zyklus »Bau- ernkrieg« machte sich in ihren Blättern eine zu- nehmende Formvereinfachung bemerkbar, deren Abb. 1 Käthe Kollwitz, Nachdenkender Mann, 1921/22, Kreide, Pinsel, Feder, Tusche, Deckweiß, 310×282 mm, Käthe-Kollwitz-Museum Berlin (Inv.-Nr. KKMB 0184)

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